Original geschrieben von: 21merlina
Die Spanier reden sich natürlich raus. Wir können es nicht beurteilen, wir waren nicht dabei. Zutrauen würde ich es der Guardia Civil allerdings...


Hier kann ich dir gerne eine Information aus allererster Hand geben. Ich kenne einen Jungen, der auf genau diesem Boot war und mir sehr detailliert schilderte, was vorgefallen ist. (Nö, keine Wichtigtuerei. Ich bin hier inzwischen schon vorsichtig bezüglich Anfeindungen^^) Der Vorfall wurde auch bei uns thematisiert und sehr kontrovers in den Medien behandelt. Assad, er lebt heute als einziger dieser Bootsflüchtliche bei einem Bekannten von mir in San Fernando / Maspalomas.

Seine mir persönlich gemachte Schilderung: Sie erreichten, wie im offiziellen Bericht geschildert, nach Mitternacht den Strand der Insel. Schon aus der Ferne konnten sie Scheinwerfer und auch Blaulicht erkennen. Es war also kein guter Moment für eine Anlandung. So machten sie kehrt und fuhren wieder auf das offene Meer hinaus.

Was sie nicht wussten war, dass sich auch schon das Patrouillenboot der Guardia Civil ganz in der Nähe befand. Keineswegs ordnungsgemäss befeuert. Als sie sich der "Gefahr" bewusst wurden, gab der Junge, der das Boot steuerte, nochmal kurz Vollgas, in der Absicht, vielleicht doch noch entkommen zu können. Doch er sah schnell ein, dass das keinen Sinn haben würde und stoppte. Bei den "Guardia Civilen" aber war nun das Jagdfieber erwacht. Mit Vollgas und unzureichender Beleuchtung nach vorne, schossen sie auf das Flüchtlingsboot zu. Ein Marinero de la Guardia Civil gab vom Bug aus zwar noch hecktische Handzeichen in Richtung Brücke, wurde aber scheinbar nicht wahrgenommen. Es war ja stockdunkel. Das Patrouillenboot traf mittig auf das kleine Flüchtlingsboot und zerteilte es in zwei Teile. Assad, der ganz am Bug gesessen hatte flog hohen Bogens ins Meer. Er konnte schwimmen. Andere der Jungs aber nicht. Bei dem Aufprall wurden vier Flüchtlinge direkt getötet. Weitere Ertranken später. Wobei Assad mindesten dreien das Leben rettete.

Bis hierher könnte man also noch von einem Unfall sprechen. Was aber nun kam, machte die Sache kriminell. Die Patrouillie beschrieb einen grossen Bogen und stoppte etwa in einhundert Meter Entfernung. Jeder normale Mensch würde nun glauben, dass sie den Ertrinkenden zur Hilfe kommen würden. Das taten sie aber nicht. Ganze zwanzig Minuten sahen sie zu, wie die Jungs um ihr Leben kämpften und einer nach dem anderen diesen Kampf verlor. Assad schrie hinüber zu ihnen, wobei er und zwei weitere Opfer (ich nenne sie ab sofort so) sich an einem Holzstück festhielten.

Ein guter Schwimmer unter den Jungs schwamm zu der Guardia Civil hinüber und flehte sie an zu helfen. Nichts. Nach besagter Zeit kammen sie dann langsam angefahren und ein einziger Mann der Mannschaft fing endlich an, den einen und anderen Flüchtling an Bord zu helfen. Assad schwamm mehrmals zwischen den Wrackteilen und dem Boot hin und her und brachte jeweils einen Jungen an die Bordwand, zu dem immer noch einzigen Helfer. Aber die bereits Geretteten halfen sich nun gegenseitig.

Diese Menschenverachtung, diese Ignoranz gegenüber den Ärmsten der Armen macht mich unendlich wütend. Und noch mehr ärgert mich die verlogene Begründung für den Unfall. Bei dem Boot der Guardia Civil hätten sich die Gashebel verklemmt und daher sei das Boot unhaltbar in die Kollision gerast. Und für die später notwendigen Rettungsmassnahmen hätte das hierfür notwendige Schlauchboot gefehlt, und daher sei man nicht befähigt gewesen, so schnell einzugrteifen, wie es notwendig gewesen wäre. Drei Freunde Assads, mit denen er sein ganzes Leben lang zusammen war sind tot. Und ohne seinen heroischen Einsatz, wären es noch mehr gewesen.

Später landeten die Überlebenden in dem Gefängnis "Baranco Seco" in Las Palmas. Dorthin werden alle nicht dokumentierten Flüchtlinge erstmal gebracht. Nach etlichen Wochen und einigen Hungerstreiks wurden die ersten von ihnen nach Marokko abgeschoben. Über Melilla. Der einzige von ihnen, der überhaupt noch auf den Inseln ist, ist Assad. Er hat inzwischen mit Journalisten und mit einer Richterin aus Las Palmas gesprochen. Wahrscheinlich brauchen sie ihn noch als Zeugen, für eine mögliche Gerichtsverhandlung. Er besucht heute eine Frisörschule in San Fernando und macht eine Spanischsprachkurs. Der Junge ist taff. Man kann sich bereits ganz gut mit ihm unterhalten. Und er ist verschlossen. Dieses Ereignis wird noch lange in ihm nachwirken.