Hallo,

Antwort auf:
Notgedrungen betrachte ich Marokkaner/Muslime sein als homogene Einheit, denn wie sonst ließen sich Vergleiche anstellen wenn man nicht genau das auch für die Deutschen täte? Der lapidaren Feststellung, Marokkaner und Deutsche sind aufgrund zahlreicher Einflüsse in ihren Denk- Sicht- und Empfindungsweisen höchst unterschiedlicher Natur, wird auch in diesem Forum kaum jemand widersprechen, oder?! Schau einmal auf diese Zahlen: Marokkaner = Muslime = ca. 99% der Bevölkerung = homogene Gruppe, trifft so auf Marokko zu. Deutsche = Christen = ca. 50% der Bevölkerung, trifft so auf Deutschland zu. Daraus ergeben sich zwangsläufig gewaltige Unterschiede.


Homogenisierungen verkürzen den Blick auf gesellschaftliche Realitäten weil sie Pluralität ignorieren. Indem du behauptest, Deutsche und Marokkaner wären unterschiedlicher Natur was Sichtweisen, Denken und Empfinden anbelangt, schaffst du eine Binarität, die Marokkaner als auch Deutsche homogenisiert und ihnen essenzielle Wesensunterschiede unterstellt.
Dass es bestimmte Unterschiede hinsichtlich Kulturen und Lebensweisen gibt, ist nicht abzustreiten. Allerdings kann man weder für Deutschland noch für Marokko von einer einheitlichen Kultur ausgehen. Zwar ist Marokko ein islamisches Land, dennoch lebt innerhalb Marokkos eine Vielfalt an Kulturen. Abgesehen von "Kultur", die ohnehin in ihrer Definition schwer zu fassen ist, besteht eine weitere Pluralität in der Individualiät.
Mag zwar sein, dass in Deutschland weniger Kollektivismus gelebt und dafür mehr Individualismus, dennoch entwickeln sich da wie dort Subjekte, die verschiedene Bezüge zu Gesellschaft und Umwelt besitzen.
Mit der Behauptung, alle Menschen einer Nation würden in der selben Weise leben, denken, fühlen usw aufgrund einer Religionszugehörigkeit und damit einhergehend einer Kultur (so die gängige Argumentation) spricht man den jeweiligen Gesellschaftsmitgliedern den Subjektstatus ab und verobjektiviert sie. Der Lebenswirklichkeit der Menschen kommt dies jedenfalls nicht mehr nahe. Egal ob kollektivistische oder individualistische Gesellschaft, Menschen bleiben Individuen!

Antwort auf:
du schriebst, “Wäre interessant, wenn du deine Annahme, die Ausübung der islamischen Religion stehe in direktem Zusammenhang mit Ökonomie, etwas näher ausführen und begründen könntest.“
...hatte ich ja bereits angedeutet: Setzt man die Zahl der Muslimen in Relation zum wirtschaftlichen output, so liegt deren Beitrag um ein Vielfaches niedriger als der von anderen ethnischen/religiösen Gruppen. Dieses Zahlenwerk fällt noch einmal um so negativer auf, macht man sich die Mühe es nach erworbenen Bildungsabschlüssen aufzudröseln, dann da ist die arabische Welt international gar nicht so schlecht aufgestellt.


Rein die Relation zwischen "wirtschaflichem output" und Religion liefert keinen Aufschluss über den Einfluss des einen (Religion) auf das andere (Wirtschaft). Um wirtschaftliche Verhältnisse beschreiben und erklären zu können wäre in erster Linie eine Analyse der politischen Verhältnisse erforderlich: Politik, Staat und Wirtschaft sind die sich am stärksten wechselseitig bedingenden Faktoren, die Religion hingegen ist m.E. sekundär.

Antwort auf:
...am unteren Ende der HDI Skala befinden sich ausschließlich nicht-islamische Länder. Die Gründe: Misswirtschaft, Bürgerkrieg und Korruption. Apropos Korruption, Marokko taucht immerhin an 68. Stelle von insgesamt 192 Ländern auf.


Was eben die Verschränkung von wirtschaftlichem Wohlstand und Politik wieder aufzeigt. Oder wie soll ZB Korruption - die sich übrigens immer negativ auf Volk, Staat und damit unausweichlich auf Wirtschaft auswirkt - mit Religion erklärt werden? Der Skala kann man zwar entnehmen, dass arabische, islamische Länder insgesamt eher auf dem unterem Skalenniveau angesiedelt sind. Diese Feststellung allein ist aber noch unzulänglich um "den Islam" als Erklärung für wirtschaftliche Verhältnisse heranzuziehen.
In den unteren Rängen der Skala sind eben stark nicht-islamische Länder vertreten, wie beispielsweise Haiti (161), Nepal (157), Thailand (103),China (101),Kolumbien (91)Brasilein (85) Südafrika (121) und noch viele weitere nicht-islamische Nationen.
Der Annahme eines Einfluss des Islam auf Ökonomie widerspricht eben die Tatsache, dass ebenso nicht-islamische Länder in den unteren Rängen in einem beträchtlichem Ausmaß vertreten sind.

Dies bestärkt also wiederum die These, dass politische Faktoren in der Analyse von ökonomischen Verhältnissen viel eher betrachtet werden müssen und Religion eher weniger (wenn überhaupt nennenswert) relevant ist.

Antwort auf:
Je fähiger diese elitäre Gruppe aus Wirtschaftsführern und Politiker ist, desto mehr nimmt eine Nation am Aufschwung teil. Kapitalismus pur. Letzterer funktioniert (?) wenn eine Reihe an Faktoren zwingend erfüllt sind, z.B. das Bereitstellen eines intakten Bildungssystems seitens des Staates, sowie der Erwerb von soft skills seitens einer Bevölkerung, also so etwas wie Disziplin, Belastbarkeit, Empathie, Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Mitdenken, Kritikfähigkeit, kritisches Denken, Aufmerksamkeit, Arbeitsmoral...


Stimmt, dass einige Faktoren, die du anführst einen Einfluss auf Wohlstand haben. Und eben Staat und Politik sind verantwortlich dafür. "Der Islam" steht jedoch nicht einem gut funktionierendem Bildungsystem, sowie irgendwelchen "Soft Skills" und einem wirtschaftlichen Aufschwung im Weg, oder wäre gar ein Grund für Korruption und andere politische Missständen.

Deine Argumentationsansätze, warum der Islam eine wirtschaftliche Bremse sei liefern meiner Meinung nach keine plausiblen Erklärungen.

Zu deiner auf subjektive Erfahrungen beruhende Erklärung:

Antwort auf:
Aber aus den knapp zehn Jahren Ingenieurtätigkeit im Nahen Osten kann ich auch sagen, dass der Grad der Arbeitsbelastung gepaart mit dem Übernehmen von Verantwortung definitiv nicht funktioniert hätte, wenn ich bei Sonnenaufgang als erstes in die Moschee hätte gehen müssen, dann noch knapp sechs Wochen Ramadan befolgen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch familiär stärker gefordert zu sein.



Nur weil sich viele Nicht-Muslime Ramadan halten oder beten als Alltags-erschwerend vorstellen, bedeutet das noch lange nicht, dass andere nicht arbeitsbelastend wären wegen 5 Wochen Ramadan im Jahr und 5 mal am Tag beten, wobei das Gebet zwischendurch ja nicht viel Zeit in Anspruch nimmt - wohl auch nicht mehr in Summe als die Pausenzeiten eines deutschen Arbeitnehmers (wenn überhaupt!). Auch in Marokko gibt es erfolgreiche Personen, die arbeiten UND sich an religiöse Gebote halten. Ich kenne einige Personen in Marokko, die gute berufliche Positionen haben(zb als Anwalt oder in leitenden Bankposten tätig sind) und dennoch religiösen und familiären Verpflichtungen nachkommen.
Andersherum gibt es auch in Marokko Muslime, die nicht konsequent praktizierend sind, nicht alle Muslime beten täglich... Und dennoch sind die nicht erfolgreicher als praktizierende Muslime.
Die Pluralität wird hier vollkommen ignoriert: während es nicht nur erfolgarme Marokkaner sondern auch erfolgreiche gibt, gibt es neben praktizierenden auch nicht praktizierende Muslime, gibt es traditionelle Mehrkindfamilien neben moderneren Kleinfamilien, eher einfache Leute neben "elitäreren" und noch vieles mehr dazwischen. Und vom einfachen Bauern bis hin zum Anwalt oder Arzt werde ich Leute finden, die Religion praktizieren oder nicht praktizieren oder sie einfach unterschiedlich leben oder ihr unterschiedliche Bedeutung verleihen. Und genauso gibt es viele Muslime in Europa, die beruflich erfolgreich sind, ohne ihre Religionausübung beschränken oder gar aufgeben zu müssen.
Jedenfalls, ob jemand die Religion stark in seinem Leben und Alltag integriert oder weniger bis gar nicht, hat keinen direkten Einfluss auf Verantwortung, Fleiß, Erfolg etc.!

Damit lande ich wieder bei meinem Standpunkt, dass der Islam hinsichtlich wirtschaftlichen Entwicklungen eher unbedeutend ist im Vergleich zu anderen, politischen Faktoren (und zwar auf lokaler wie globaler Ebene).

Jasmin

PS: zitieren kann man, wenn man den zu zitierenden Text in die Antwort kopiert, dann markiert und oben in der Leiste die Anführungszeichen anklickt....

Last edited by Jasmin Hauser; 04/06/13 10:51 AM.