Hallo Jasmin und alle,
über diesen Text bin ich heute morgen in meinem Archiv gestolpert und finde erpaßt hier gut her. Er paßt für mich auch genau zu deiner Idee von Dialog, Jasmin.


Von der Gleichheit der Religionen
Ein Besucher, der neulich hier war, fragte Gandhi, was er meinte, als er davon sprach, daß alle Religionen nicht nur wahr, sondern auch gleich seien. Aus wissenschaftlicher Sicht erschien es ihm schwerlich korrekt zu behaupten, alle Religionen seien gleich. Würde dies nicht sofort Vergleiche zwischen Animisten und Theisten auf den Plan rufen?

„Ich würde sagen, es hat keinen Sinn, einzelne Religionen zu vergleichen. Es sind verschiedene Wege.

Meinen Sie, wir könnten die Sache mit anderen Begriffen klären?“

Gandhi antwortete: „Sie haben recht, sie lassen sich nicht vergleichen. Aber sogar daraus läßt sich ableiten, daß sie gleich sind. Alle Menschen sind frei und gleich geboren, aber der eine ist viel stärker oder schwächer als der andere, körperlich und geistig. Daher herrscht, oberflächlich betrachtet, keine Gleichheit zwischen den beiden. Dennoch gibt es eine grundsätzliche Gleichheit. In unserer Nacktheit wird Gott mich nicht als Gandhi und Sie nicht als Keithahn erkennen. Und was sind wir in diesem mächtigen Universum? Wir sind weniger als Atome, und es hat keinen Sinn zu fragen, welches kleiner und welches größer ist. Von Natur aus sind wir gleich. Die Unterschiede von Rasse und Hautfarbe, Geist und Körper, von Klima und Nation sind vergänglich. Mithin sind im wesentlichen auch alle Religionen gleich. Wenn man den Koran liest, muß man es mit den Augen eines Muslims tun; die Bibel muß man mit den Augen eines Christen lesen; und die Gita mit den Augen eines Hindus. Worin besteht der Sinn, Einzelheiten hervorzuheben, um eine Religion dann lächerlich zu machen? Nehmen Sie das erste Kapitel der Genesis oder Matthäus. Wir lesen einen langen Stammbaum, und am Ende wird uns gesagt, Jesus wurde von einer Jungfrau geboren. Man steht wie vor einer Mauer. Also muß ich das alles aus dem Blickwinkel eines Christen lesen.“

„Außerdem“, sagte der Gast, „stellt sich selbst für uns in der Bibel die Frage nach Moses und Jesus. Müssen wir sie auch als gleich ansehen?“

„Ja“, sagte Gandhi. „Alle Propheten sind gleich. Diese Ebene ist horizontal.“

„Wenn wir in Einsteins Kategorien von Relativität denken, sind alle gleich. Aber ich kann diese Gleichheit nicht richtig ausdrücken.“

„Deshalb sage ich, sie sind gleich wahr und gleich unvollkommen. Je feiner man die Linie zieht, desto näher kommt sie an Euklids breitenlose wahre Linie heran, aber dennoch ist sie nie eine wahre Linie.
Das gleiche ist es mit dem Baum der Religionen, es gibt keine physische Gleichheit zwischen den Ästen. Sie wachsen alle, und die Person, die zu einem wachsenden Ast gehört, darf sich nicht daran weiden und sagen: ‚Meiner ist der überlegene.’ Keiner ist dem anderen überlegen, keiner unterlegen.“


Allen einen schönen Wintertag
Keela


Ich bin nicht dumm, ich hab' nur voll so Pech beim Denken...