Ich habe in einem langen Berufsleben mit den unterschiedlichsten Menschen und deren Motivationen gelernt, daß man am mißtrauischsten sein muß, wenn jemand erklärt "alles nur aus Nächstenliebe zu tun": jeder präsentiert früher oder später eine Rechnung. Aber nur wer ganz klar sagen kann, welchen eigenen Vorteil er mit dem, was er tut, verfolgt (auch "viele Freunde" zu haben ist ein Vorteil, den man verfolgen kann, wenn nicht sogar die mächtigste Motivation überhaupt), ist auch ein seriöser Verhandlungs- und Vertragspartner: weil niemand davon ausgeht, daß ein anderer etwas völlig Uneigennütziges tut und viel Energie darauf verschwenden muß (die er dem anderen übel nimmt), um herauszufinden, wo denn der Hund nun begraben liegt.

Das ist eine echte Invariante* bezogen auf menschliches Verhalten und auf alle Gesellschaften, Kulturen und Branchen anwendbar: das gilt auch für mich selbst, wenn ich vorhabe, jemanden zu etwas zu überreden oder zu einem Engagement zu bewegen - je schneller ich die Karten auf den Tisch lege desto schneller vertraut mir mein Gegenüber: "möchte ich eine Rosenfarm machen, um mein Vermögen inflationssicher anzulegen mit einem Produkt, das gut riecht, niemandem schadet und von allen geliebt wird. Du und Deine Familie kannst dort dann auch Arbeitsplätze bekommen: vor allem Deine Frauen und Mädchen, egal ob jung oder alt etc.... Das ist das, was Du meinst, wenn Du schreibst, daß in Essaouira sich niemand vorstellen kann, daß Mogador keine Provision bekommt: in Wirklichkeit werden aber Freundschaften gesucht und Freundschaftsdienste erwiesen. Schön wäre es, wenn das auch so belabelt würde: dann wäre allen geholfen. Ich würde - so man das Marokko-Forum als Haus betrachtet - allerdings lieber in einem echten marokkanischen Lehmhaus mit echter deutscher Energie- und Klimatechnik wohnen wollen als in Baumarktschrott mit Vorgartenzwergen und Plastikpartyzelten in Berber-Optik.


Josi

*Invariante: Christopher Alexander, der mit seinen Werken „A Pattern Language“ (Alexander, 1977) und „A Timeless Way of Building“ (Alexander, 1979) die Grundlagen für den Pattern-Ansatz gelegt hat, nennt folgende Vorgehensweisen, die Invarianten zu finden:

Beobachtung und Analyse guter Beispiele

Analyse schlechter Beispiele und Ableitung einer Lösung

Ableitung aufgrund abstrakter Argumente


Alle drei Methoden dienen nach Alexander der Findung von invarianten Eigenschaften, die schlechtes von guten Designs unterscheiden (Alexander, 1979).

Ich denke, niemand hat es bisher unternommen für Foren und deren Mitglieder solche Pattern/Invarianten herauszufinden: "sie kommen alle wieder" - wäre zumindest schonmal ein Anfang, aber auch die immer wiederkehrende Nachfrage "hast Du nichts anderes zu tun?" stammt aus demselben Ergründenwollen, was denn eigentlich von jedem einzelnen von uns die wahre Motivation ist, hier mit dabei zu sein - sobald sie offensichtlich ist (Rassismus, Liebe, Eigenwerbung) ist alles sofort wieder gut.