Kleiner Exkurs zum Zeitpunkt der Lebendigkeit eines Kindes:

In der Antike (Aristoteles: Politik, hrsg. v.F. Susemihl, Leipzig 1879, S. 473) stellte die Abtreibung ein ethisch grundsätzlich nicht zu beanstandendes bevölkerungspolitisches Instrument dar. Die Trennung lebendig/nicht lebendig ist nach Aristoteles nach der von ihm selbst erfundenen "Sukzessivbeseelung" zu verstehen, die drei Stadien durchläuft: das erste sei vegetativ-pflanzlich, das zweite tierisch-empfindsam, das dritte menschlich-vernünftig. Die drei Abschnitte sind durch drei unterschiedliche Beseelungsformen (die anima vegetativa, die anima sensitiva und die danima rationalis) gekennzeichnet.

Hier unterbreche ich jetzt den kleinen Exkurs, weil mir etwas auffällt:

bei der Pflege meiner Mutter (zum Tode) waren die drei Stadien exakt andersherum. Sie hat auf ihrem Weg zum Tod (den ich auch als Geburt erlebt habe) zuerst die menschlich-vernünftige Hülle abgeworfen, dann die tierisch-empfindsame und zum Schluß ist sie zur Pflanze und zuletzt zum Stein geworden: das war ein teilweise beängstigender Prozeß, der jedoch auch ein schrittweises Sichentfernen, Schmerzloswerden und Fremdwerden beinhaltet hat, der sich mit der allmählichen Trennung der Nabelschnur vergleichen läßt.

Ich erinnere mich etwas Ähnliches in Tolstois "Krieg und Frieden" gelesen zu haben bei dem schwer verwundeteten Andrej, der dann innerhalb von einer Woche stirbt: das war mir immer vor Augen, weil es so treffend beschrieben war (die Sterbenden werden unzugänglicher, so als ob sie nicht mehr von den Lebenden gestört werden wollen in ihrem Geburtsprozeß).

Ist nur ein Gedanke.

Josi