Wie läßt sich "arabischer Kapitalismus" mit islamischen Werten/Tradition/Menschenrechten vereinbaren ? Warum den westlichen Kapitalismus in Exzessive nachahmen ? Zum Nachdenken.... Gruß, Ulla

Spiegel 2.2.08
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument.html?id=55668209&top=SPIEGEL&suchbegriff=&quellen=&vl=0

Autor(en): Follath, Erich; Zand, Bernhard;

Tausendundeine Pracht

Das höchste Gebäude, der größte Flughafen, das teuerste Hotel: Die Herrscher der Emirate am Golf sind süchtig nach Superlativen - und können sich dank Rekord-Ölpreisen fast alles leisten. Aber sie wollen mehr als ihren Goldrausch genießen: Vorbild sein für ein zukunftsorientiertes Arabien, die Drehscheibe der Globalisierung zwischen Ost und West. Von Erich Follath und Bernhard Zand

Wenn es denn einen Gott gibt, Allah, Jahwe, Brahma oder wie immer geheißen: Er ist derzeit wohl wenig amüsiert. Denn Er hat Konkurrenz bekommen, sehr selbstbewusste Konkurrenz, und die verbreitet ihre Botschaft ebenso marktschreierisch wie aggressiv. "Besuchen Sie uns, die Schöpfer der Welt" steht auf ihren Plakaten in den Shopping-Malls von Dubai. Und ein Herr Hamza Mustafa, durchtrainierter Mittdreißiger im Maßanzug, in den Emiraten geboren und in Großbritannien im Business wie im Boxen ausgebildet, verteilt Geschäftskarten mit der Aufschrift "General Manager, The World".

Mustafa und seine Männer werben nicht für eine Sekte; die Seelen ihrer Kunden, deren Glaubensrichtung, Hautfarbe oder Nationalität sind ihnen gleichgültig, es geht um die Brieftaschen. Und die sollten prall gefüllt sein. Denn wer sich in das gigantische Projekt "The World" einkauft, muss mindestens 15 Millionen Dollar für ein Stück Land ausgeben können - dafür bekommt er keine Villa, keinen Park, sondern nur das Recht, einen Sandhaufen von ein paar tausend Quadratmetern bebauen zu dürfen. Aber was für ein exklusiver Sandhaufen! Eine künstliche Insel vor der Skyline von Dubai, mit Millionen Tonnen Schotter dem Arabisch-Persischen Golf abgerungen, in Sichtweite der am schnellsten wachsenden Stadt der Welt.

300 solcher aufgeschütteten Eilande umfasst das Wahnsinnsunternehmen, die teureren kosten über 50 Millionen Dollar. Das Besondere an dieser Genesis von Menschenhand ist die Anordnung der Inseln.


Aus der Luft betrachtet, ergeben sie eine Karte der Kontinente, eine zweite Welt; zum Verkauf steht also nichts weniger als die gesamte Erde mit ihren nachgebildeten Staaten, von Chile bis China. Auch der Irak und Iran sollen ihre Liebhaber finden. Kein Israel, kein Palästina allerdings - in solche politischen Verwicklungen begibt man sich ungern.

Äthiopien ist an den Mann gebracht: Brad Pitt und Angelina Jolie, Hollywoods engagiertes Traumpaar, wollen da "irgendetwas Soziales" gestalten. Auch Irland ist verkauft, "Irelands in the Sun" sollen darauf gebaut werden, luxuriöse Hotelbungalows. Zu sehen ist noch nichts, nur Sand und blaues Meer, so weit das Auge reicht.

Und Deutschland?

Gerade abgestoßen, sagt der PR-Manager des Bauherrn Nakheel, ein Brite, während das Speedboat der Firma zwischen den aufgeschütteten Inseln kurvt. Das Baurecht hat der österreichische Immobilien-Tycoon Josef Kleindienst erworben. Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik wird auf der Insel Deutschland demonstrieren, wie man ökologisch baut - deutsche Umwelttechnik für die Energieriesen am Golf.

Russische Oligarchen wollen Russland haben. Für Großbritannien soll sich der Schotte Sean Connery interessieren. Man lebt nur zweimal, mag sich James Bond denken. Und: Die Welt ist nicht genug.

Grönland ist fertig. Eine Villa, Palmen, besprengter Rasen, mehrere Pools. "Gehört der herrschenden Familie", sagt der Verkäufer ehrfürchtig. Die Maktums können sich alles leisten, sie besitzen nicht nur den Mehrheitsanteil an Nakheel, sie sind auch an den konkurrierenden Baukonzernen Emaar und Dubai Holding beteiligt. Wie fast an allen wichtigen Firmen in ihrem Fürstentum, das weitgehend selbständig wirtschaftet, aber außenpolitisch Teil ist der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) mit der Hauptstadt Abu Dhabi.

In drei oder vier Jahren soll "The World" schon fertig sein, ein Zeitplan von Phantasten, völlig unrealistisch - würde jeder denken, der Dubai nicht kennt. Aber hier gelten keine normalen Maßstäbe. Sie sind süchtig nach Superlativen, die neuen Herrscher am Golf. In Dubai schraubt sich derzeit der Burj (Turm) Dubai in die Höhe, eine wolkenkitzelnde Nadel, schon heute das höchste Gebäude der Welt. Über 800 Meter wird es nach seiner Fertigstellung Ende 2008 sein und damit gut doppelt so hoch wie das Empire State Building - für den Entwurf gaben die Scheichs den von ihnen ausgeguckten Architekten der Chicagoer Firma Skidmore, Owings & Merrill zwei Wochen Zeit; sie zeichneten die Nächte durch, und dann wurde schnell mit dem Bau angefangen, nonstop gehämmert, geschweißt.

Aber nicht nur die Prestigeprojekte am Golf lehren das Staunen. In Dubai entstanden neben erstklassigen Immobilien und Touristeneinrichtungen - angeführt vom Burj al-Arab, das als teuerstes Hotel der Welt gilt, und mehr als 50 anderen Fünfsternehäusern, bis 2012 sollen es 300 sein - auch zukunftsweisende Institutionen in den Bereichen Banken, Finanzen und Telekommunikation. Großzügig angelegte Technologieparks versprechen ausländischen Interessenten Steuerfreiheit.

Die Staatseinnahmen sprudeln durch die Rekordpreise beim Erdöl. Fast zehn Prozent der weltweiten Reserven liegen unter dem Wüstensand oder in den Gewässern der VAE, fast alles im Emirat Abu Dhabi. Die Scheichs haben allerdings erkannt, dass ihr Ressourcenreichtum nur noch wenige Jahrzehnte halten wird, und ihre Schlüsse daraus gezogen: Sie arbeiten an einem selbsttragenden Aufschwung durch Handel, finanzielle Dienstleistungen und Tourismus. Sie schaffen, clever beraten von westlichen Investmentbankern, alle Voraussetzungen dafür, die Emirate zu einem neuen Drehkreuz der Globalisierung zu machen. Eine Infrastruktur der Zukunft, angelegt für weit mehr als Tausendundeine Nacht.

Sie ziehen Investitionen an - und begeben sich ihrerseits auf Shopping-Tour in die große Welt. Mit ADIA, dem weltgrößten Staatsfonds in Höhe von 875 Milliarden Dollar, stellen die Vereinigten Arabischen Emirate selbst die neureichen Chinesen (200 Milliarden) und Russen (100 Milliarden) weit in den Schatten. Ob Anteile an der Deutschen Bank, dem EADS-Konzern, Sony oder der amerikanischen Börse Nasdaq, an Tussaud-Freizeitparks oder Travelodge-Hotels, sogar an Spielcasinos in den USA: Die Einkäufer vom Golf sind neuerdings überall dabei.

Wenn der Aufbruch in der Region auch am dramatischsten in den VAE zu spüren ist - er beschränkt sich nicht auf sie. Das Königreich Katar, halb so groß wie Hessen, sitzt auf einer riesigen Blase von Erdgas, investiert in revolutionäre Verflüssigungstechniken und ist bereits Weltmarktführer dieser Zukunftsenergie. Schon heute dürften Katars knapp 200 000 Staatsbürger über das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Welt verfügen.

Im winzigen Bahrein, mit Saudi-Arabien durch eine Brücke verbunden, setzt man auf die neue Formel-1-Strecke und gibt sich in Sachen Alkohol und Prostitution sehr locker - als Erholungsparadies für die Entwöhnten "von drüben", auch als Nahostbasis der US-Flotte. Im Emirat Kuweit sorgt man dafür, dass die Ölmilliarden im Ausland gut angelegt werden, und man übt sich in einer begrenzten parlamentarischen Demokratie. Selbst im traditionsbewussten Weihrauch-Sultanat Oman weht - dank steigender Touristenzahlen und eines neuen Containerhafens - ein frischer Wind.

Jahrzehntelang war die arabische Welt vor allem für schlechte Nachrichten gut, der Nahe Osten galt als Synonym für Krieg, Terror und Rückschritt. Auch heute noch leiden die Menschen in Syrien, Palästina und im Libanon unter Bürgerkriegsfolgen und den kaum lösbaren Konflikten mit Israel. Im Irak herrscht Terror. Und im bevölkerungsreichsten arabischen Staat Ägypten, das einst die Führungsrolle in der Region einnahm, ist der Fortschritt eine Schnecke. Anfang der sechziger Jahre war Kairo noch auf einer ökonomischen Stufe mit Seoul, heute haben die Südkoreaner eine elfmal größere Wirtschaftskraft. Kaum jemand zweifelt daran, dass in dem heruntergewirtschafteten und von Washington alimentierten Ägypten bei wirklich freien Wahlen Islamisten an die Macht kämen.

Nun aber scheinen neue Pharaonen an der Macht - zu Hause am Golf und unterwegs in aller Herren Länder. Sie bilden eine Art arabische Hanse, fördern den Warenaustausch mit der westlichen wie auch mit der fernöstlichen Welt, schon ist von einer Neuauflage der "Seidenstraße" Richtung China die Rede.

Die Scheichs mit Visionen schaffen Wachstum und Jobs und üben sich - auch ohne Wahlen und Opposition nach westlichem Muster - in "good governance"; eine Untersuchung der Swiss IMD Business School stellt Dubai in Sachen Regierungseffizienz und Wettbewerbsfähigkeit sogar über Tokio, London und Berlin. US-Präsident George W. Bush sprach bei seinem Staatsbesuch in Abu Dhabi Mitte Januar davon, die VAE hätten der Welt das "Modell eines islamischen Staates, tolerant gegenüber Menschen aller Glaubensrichtungen" gezeigt - er stoppte knapp davor, die nahöstliche Musterdemokratie auszurufen.

Dass es bis zur vollen Pressefreiheit noch ein weiter Weg ist, dass Gewerkschaften so gut wie unbekannt sind, dass für kleinste Vergehen wie den Besitz von Haschisch in Viertelgramm-Dosis jahrelange Haftstrafen ausgesprochen werden: Es fällt für die Zukunftstrunkenen, die den wirtschaftlichen Fortschritt für den allein seligmachenden halten, offensichtlich nicht weiter ins Gewicht. Ebenso wenig wie der Umstand, dass die eigentlichen Macher des Wunders, die Gastarbeiter aus Pakistan, Indien, Sri Lanka und Nepal, wenig teilhaben an den Segnungen ihres Gastlandes: Nur 20 Prozent der Gesamtbevölkerung haben die Staatsbürgerschaft der VAE und genießen die Privilegien der Einheimischen.

Die Emirate & Co. - sie sind für viele ein Gegenentwurf zur Terrororganisation al-Qaida. Nicht Gaza und die Slums von Kairo, sondern die aufstrebenden Städte Dubai und Doha, Manama und Maskat würden dann die Region prägen. Zukunftschancen statt Rückwärtsgewandtheit, Lernbegierde statt Gewaltanfälligkeit wären das Motto. Der Golf, das Über-Morgenland: Osama Bin Ladens Alptraum. Und Dubai die Vorzeigestadt.

Der PR-Mann von Nakheel lässt das Speedboat auf dem Rückweg von "The World" zu einem anderen gigantischen Projekt lenken, an das auch nicht viele geglaubt haben: Palm Jumeirah heißt es, eine riesige, künstliche Insel in Palmenform, die fünf Kilometer in den Golf hinausragt. Auf dem Stamm türmen sich Apartmentblocks und Geschäfte sowie ein riesiger Trump-Tower und auf den 17 Palmwedeln pastellfarbene Villen im indischen, italienischen oder arabischen Stil. Eine gehört David Beckham, 13 seiner Nationalspielerkollegen haben sich ebenfalls eingekauft. Bald wird hier auch der legendäre Luxusliner "Queen Elizabeth 2" permanent vor Anker gehen, als Hotelschiff dem neuen "Atlantis" mit seinen mehr als 1000 Zimmern Konkurrenz machen, und zwischen beiden sollen in einem riesigen Aquarium Dutzende weiße Delphine die Touristen erfreuen, schon eingefangen vor den Salomoninseln und aus dem Südpazifik herübertransportiert.

Die Palm-Investoren rekrutieren sich aus mehr als 50 Nationen, eine Art Uno der Superreichen. Entstanden ist diese Welt-Liga an einem Ort, wo vor gerade mal sechs Jahren die ersten Schwimmbagger aus ihren Kanonen Schotter und Sand ins Wasser pumpten. 560 Hektar Prestige, dabei sein ist alles.

Allerdings ist es mit der Exklusivität so eine Sache: Es wird nicht bei der einen Palme bleiben. Schon ist die zweite, "Jebel Ali", weitgehend aufgeschüttet, noch einmal um die Hälfte mehr Land. Auch mit der Arbeit an der Kunst-Palme Nummer drei im Wasser vor dem alten Stadtteil Deira wurde bereits begonnen, statt 17 sollen dort 41 Wedel entstehen, 226 Kilometer zusätzliche Küste; siebenmal so groß wie das Mutterprojekt und damit auch leicht aus dem Weltraum zu erkennen. Exklusivität wird neu definiert: Eine Viertelmillion Menschen sollen dort im nächsten Jahrzehnt leben. Zwergenhaft dürfte dann Palme Nummer eins erscheinen, die heutige größte Insel von Menschenhand - ganz zu schweigen vom Projekt "Universum", das eines Tages Sonne, Mond und Sterne als Inseln abbilden soll.

2009 sollen die ersten Flugzeuge auf dem neuen Flughafen landen, er wird eine Kapazität von bis zu 150 Millionen Passagieren pro Jahr haben, damit umschlagkräftiger sein als Frankfurt und London-Heathrow zusammen (und das, obwohl im Umkreis von 200 Kilometern noch vier weitere große VAE-Flughäfen liegen). Die Anlage wird - wie auch sonst! - "World Central International" heißen.

Emirates hat im November elf Super-Airbus 380 bestellt, nebst 70 Exemplaren des Großraumfliegers A350, Gesamtauftragswert über 30 Milliarden Dollar, und, damit die amerikanischen Freunde nicht beleidigt sind, noch ein Paar Boeings dazu: die größte Bestellung der Geschichte. In wenigen Jahren will Emirates die Airline mit den meisten internationalen Verbindungen sein; als die mit den meisten Auszeichnungen gilt sie heute schon, in scharfem Wettbewerb mit den anderen "Five Star"-Gesellschaften der Region, Qatar Airways und Etihaad.

Dubai ist die Heimat des höchstdotierten Pferderennens, des großzügig mit Preisgeldern ausgestatteten Golfturniers "Desert Classics" - und sogar einer tropischen Skipiste. Das unterkühlte Paradies mit einer respektablen Abfahrtsstrecke liegt im Einkaufszentrum Mall of the Emirates. Die Shopping-Mall ist nur eine der größten der Welt, weshalb jetzt in Dubai dringend die weltgrößte entstehen muss. Sie ist schon im Bau und wird auch all diejenigen kauflustigen Gäste bedienen, die im neuen, selbstverständlich alles übertreffenden Vergnügungspark den XXL-Eiffeltum besichtigen werden, originalgetreu nachgebaut, nur höher. Und dann noch eine größere Indoor-Skipiste: Dubai, ein Wintermärchen.

Bei so vielen schwindelerregenden und manchmal zum Kopfschütteln verführenden Superlativen, bei so vielen in den Wüstensand gesetzten Ausrufezeichen ist es nur logisch, dass die Vereinigten Arabischen Emirate der Staat mit den meisten Eintragungen im Guinness-Buch der Rekorde sind.

Im Frühjahr 2007 wurde in Dubai ein Zehn-Milliarden-Dollar-Fonds für eine neue Wissensstadt aufgelegt, die angeschlossene Spitzenuniversität soll die historischen Glanzzeiten des Islam wiederbeleben, Bagdads "Beit al-Hikma", das "Haus der Weisheit". Man konkurriert und ergänzt sich innerhalb der VAE: In Abu Dhabi haben sich die Herrscher der Weltklasse-Kultur verschrieben. Das Pariser Louvre und das New Yorker Guggenheim werden hier demnächst Zweigstellen aufmachen, Weltklasse-Architekten gestalten die neuen Weltklasse-Museen.

Aber was lässt sich in Rest-Arabien von diesen atemberaubenden Veränderungen lernen, in Staaten jenseits sprudelnder Erdölquellen? Ist der Fortschritt nicht doch weitgehend von wenig legitimierten und kaum nachhaltig wirkenden Einzelpersonen abhängig? Basiert die Entwicklung in Dubai & Co. nicht vorwiegend auf dem Heer der Arbeitsmigranten, die Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch "moderne Sklaven" nennen - und ist sie damit nicht gebunden an eine bestimmte, für die Emirate gerade glückliche Stunde der Globalisierung?

Ex oriente lux. Ob Licht am Ende des nahöstlichen Tunnels zu sehen ist oder nur die Fata Morgana eines vorübergehenden Luxus: Allein die Menschen am Golf können darauf Antworten geben, ihre Historiker und Wirtschaftsführer, ihre Künstler und Malocher. Und ihre wichtigsten politischen Führer.

Mohammed al-Fahim ist der Chronist der Emirate, ihr "Mister History". Er hat sich einen Vollbart stehenlassen. In anderen Regionen des Nahen Ostens würde ein solcher Entschluss womöglich als Zeichen der Radikalisierung gedeutet. Nicht so hier, bei den modernen, wohlhabenden Arabern vom Golf. Der Vollbart bedeutet, dass er sich mit bald 60 allmählich aus dem Geschäftsleben zurückzieht. Noch jettet er in Diensten seiner Holding, der al-Fahim Group, von Abu Dhabi nach London und New York.

Doch die Dinge, die ihn beschäftigen, gehen inzwischen über den Tag hinaus. Sein Alptraum ist der historische Alptraum dieser Region. Vor 50 Jahren, an einem Junitag des Jahres 1957 in der Oase al-Ain, passiert etwas, das ihn bis heute verbittert, das sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt hat. Sein sechsjähriger Bruder Abdullah spielt mit Streichhölzern. Seine dreieinhalbjährige Schwester Iljasaja kommt dazu. Ihr Kleid fängt Feuer, das Mädchen brüllt vor Schmerzen.

Es gibt damals keinen Arzt in al-Ain. Das einzige Krankenhaus am östlichen Golf haben die Briten kurz zuvor für die Mannschaften der Royal Air Force in der Küstenstadt Schardscha gebaut, mehr als 100 Kilometer von den dichter besiedelten Oasen entfernt. Der Scheich von al-Ain immerhin besitzt einen Landrover, den er der Familie zur Verfügung stellt. Zwei Tage lang quälen sich der Vater des Mädchens, seine Mutter und seine drei geschockten Geschwister auf einem alten Kamelpfad durch die Wüste, Teerstraßen gibt es nicht. Sie kommen zu spät. In Schardscha ist das Mädchen tot.

Drei Zeugen der Tragödie sollten bald zu prominenten Männern werden: Der Vater des Mädchens, Abd al-Dschalil al-Fahim, legte Anfang der sechziger Jahre als Händler mit Autoteilen in den Emiraten den Grundstein für ein inzwischen milliardenschweres Unternehmen, das heute nach Öl bohrt, Hotels baut, Immobilien, Flugzeugmotoren und Fernreisen verkauft. Sein Sohn Mohammed, damals neun Jahre alt, führte nach seinem Vater die Firma und ist heute einer der reichsten Männer am Golf. Vor einigen Jahren schrieb er die Geschichte seiner Familie und seines Landes auf, Titel: "Vom Wüstensand zum Wohlstand".

Und der Scheich, der den Fahims damals seinen Landrover geliehen hatte, ein gewisser Sajid Al Nahjan, sollte zum Gründervater und ersten Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate aufsteigen: Er war es, der 1966 seinen starrsinnigen und reformunwilligen Bruder als Herrscher von Abu Dhabi ablöste, die seit Generationen am Golf herrschenden Briten hinauskomplimentierte und 1971 mit seiner Unterschrift einen ungewöhnlichen Vertrag besiegelte - den Zusammenschluss von zwei reichen und fünf bettelarmen Emiraten, deren Einwohner heute in einem der modernsten Staaten der Welt leben.

Wenn Mohammed al-Fahim ins Erzählen kommt, dann sprudelt es nur so aus ihm heraus. Von barfüßigen, durch Skorbut ausgezehrten Perlenfischern, die Anfang der fünfziger Jahre noch genauso trostlos dahinvegetierten "wie Anfang des 19. Jahrhunderts", berichtet er. Vom weitverbreiteten Analphabetentum. Von seinem ersten Fahrrad, das er 1962 bekam: Er musste es erst kilometerweit durch den Sand schieben, um auf dem ersten Rollfeld von Abu Dhabi ein paar Runden zu drehen; es gab nur Schotterwege.

Jahrhundertelang hatten sich die Beduinenstämme in fruchtlosen Kämpfen um die kargen Oasen am Fuße der Hadschar-Berge aufgerieben, und die Briten, wenn sie ihre Handelsstützpunkte am Golf in Gefahr sahen, spielten die Stämme geschickt gegeneinander aus. Wenn den Kolonialherren danach war, schickten sie ein Kanonenboot und bombardierten die Beduinen an der "Piratenküste", worauf aller Erfahrung nach wieder Ruhe einkehrte.

Die Briten gingen, die Stämme blieben - und seit es nach den ersten Ölexporten in den sechziger Jahren nicht mehr ums blanke Überleben, sondern um die Verteilung eines rapide wachsenden Wohlstands geht, bewährt sich am Golf eine tribalistische Sitte, die man anderswo in der arabischen Welt gar nicht schnell genug loswerden konnte: der Madschlis, das nächte-, wochen-, monatelange Palaver, das am Ende alle ihr Gesicht wahren lässt. Auch wenn letztlich nur der Scheich Nummer eins etwas zu sagen hat.

Unübertroffene Meister dieser Disziplin waren die beiden VAE-Gründer-Scheichs von Abu Dhabi und Dubai, Sajid Al Nahjan und Raschid Al Maktum. Gemeinsam verhandelten sie, um nach dem Abzug der Briten 1971 einen Arabischen Küstenbund am Golf zu schmieden, ein fortschrittliches Gegengewicht zum dominanten, erzkonservativen Saudi-Arabien.

Die Siebener-Föderation funktioniert ähnlich wie ein europäischer Bundesstaat - allerdings ohne Parlamente, Parteien oder Gewerkschaften. Dafür mit einem erstaunlich effektiven Länderfinanzausgleich: Milliarden sind inzwischen aus den überquellenden Schatullen von Abu Dhabi und Dubai in die der weniger bemittelten Emirate geflossen. Auch die Emire von Schardscha, Ras al-Cheima und Fudscheira haben inzwischen ihre eigenen Airlines gegründet und bauen 50-stöckige Wolkenkratzer.

Ohne Zwischenfälle vollzog sich gleichzeitig der Wechsel von den Gründern zur nächsten Generation. Was die heutigen Golf-Monarchen verbindet, ist ihre uniforme Bildungskarriere: Kindheit im Palast, die Jugend unter dem Einfluss westlicher Erzieher - und die prägenden Jahre an den britischen Kadettenschmieden. Diesen Weg sind sie alle gegangen, ohne Ausnahme: der König von Bahrein, der Emir von Katar, die Herrscher von Dubai und Abu Dhabi sowie, ein paar Jahre vor ihnen, der Sultan von Oman.

Die beiden stärksten Persönlichkeiten haben die Herrscherfamilien von Abu Dhabi und Dubai selbst hervorgebracht: Scheich Mohammed Ibn Raschid Al Maktum, 58, Emir von Dubai und Premierminister - sowie General Mohammed Ibn Sajid Al Nahjan, 46, Kronprinz von Abu Dhabi. Die Londoner Tageszeitung "The Times" hat den Mann aus Dubai gerade zum "einflussreichsten Business-Leader der arabischen Welt" gekürt.

Er verkörpert alles, was das Potential dieser Region ausmacht: "Scheich Mo", wie ihn seine Bewunderer nur lässig nennen, ist tiefverwurzelt in der Geschichte und gleichzeitig weltoffen.

Ein paar Autominuten vor den letzten Ausläufern der Stadt liegt das Gestüt von Marmum, das private Refugium des Herrschers. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Bagger und Kräne von Dubai sich auch an dieses Wüstenreservat herangefressen haben werden, noch aber steht ein abgeschiedener Pavillon auf der Anhöhe, Männer in weißen Dischdaschas und mit großen Sonnenbrillen regulieren die Zufahrt. Es gibt Suppe, Lamm- und Geflügelreis für die Mannschaft; Scheich Mohammed, barfuß, im Schneidersitz inmitten seiner Verwandten und Getreuen, knabbert nur Radieschen und erzählt vom Wunder Dubai.

"Vor gut 20 Jahren fuhr ich mitten im Sommer den Strand hinunter. Heute steht dort ein Hotel neben dem anderen, damals war bis zum Horizont nichts zu sehen - außer einem Mann, seiner Frau und ein paar Kindern, die im Wasser plantschten. Ich hielt an und fragte sie, wie sie es bei dieser Hitze im Freien aushielten. ,Oh', sagten sie, ,uns kann es gar nicht heiß genug sein. Wir kommen aus Deutschland.'"

Damals sei ihm schlagartig klargeworden, welche Entwicklungsmöglichkeiten Dubai als Touristenziel habe. "Viele Leute hier glaubten, ich sei verrückt, und hielten mir ein arabisches Sprichwort vor: ,Das Meer kannst du nicht pflügen', sagten sie. Unsinn. Seht euch heute unsere Häfen an, die Palmen-Inseln, 'The World' und bald auch 'The Universe': Natürlich kannst du das Meer pflügen, und wie!"

Die Ernte musste nur noch eingefahren werden: Seinen Onkel Ahmed betraute Scheich Mohammed mit der Gründung der Fluggesellschaft Emirates, den Iren Colm McLoughlin mit dem Aufbau eines gigantischen Duty-free-Shops, es folgten die Hotels und die Einkaufszentren, das Dubai Shopping Festival und die erste komplette E-Regierung der Welt, die Bürgern wie Unternehmern Behördengänge erspart. Ein eher ziviles Aufbauprogramm für einen Mann, der gelernter Kampfpilot ist und seine politische Laufbahn als Verteidigungsminister begann.

Nach dem Tod seines Bruders Maktum übernahm Mohammed 2006 auch offiziell die Führung in Dubai, gleichzeitig das Amt des Premierministers der Vereinigten Arabischen Emirate. "CEO Scheich" nannte ihn das US-Nachrichtenmagazin "Newsweek", weil er Dubai nicht wie ein Politiker, sondern eher wie ein Vorstandsvorsitzender mit sehr ehrgeizigen Unternehmenszielen führt: "Wir wollen Nummer eins sein, möglichst in jeder Beziehung, und zwar nicht irgendwann, sondern jetzt."

In seinem Büro im 49. Stock des Wolkenkratzers Emirates Tower klingeln die Blackberries, und auf den Fernsehschirmen laufen CNN und al-Arabija - der Weltbürger Mohammed allerdings fühlt sich draußen in Marmum sichtlich wohler. Dort rauscht er in einem Geländewagen seinen jagenden Falken und den Adlern hinterher. "Wie?", fragt er seine Gäste aus der Stadt, "ihr könnt auf die Entfernung eine Taube nicht von einer Wachtel unterscheiden?"

In der Wüste geht der Scheich auch seinen beiden größten Leidenschaften nach, der Pferdezucht und der Poesie. Von Liebe und Leid handeln seine Gedichte, von der Reitkunst und von politischer Führung. Eine seiner Maximen wird gerade im Wortsinn aus dem Meer gestampft: Auf der Palmen-Insel Jebel Ali schütten die Arbeiter das Land so auf, dass es sich, aus 3000 Meter Höhe betrachtet, zu einem riesigen Schriftzug fügen soll: "Nimm Rat nur an von Gescheiten / Lass wahre Jockeys reiten / Visionäre können auf dem Wasser schreiben / Große sich an Problemen reiben."

Pompöse Auftritte sind sonst seine Sache nicht, arabische Gipfeltreffen sind ihm ein Greuel. Und manchmal macht Scheich Mo auch auf inkognito. Amüsiert hat ihn dabei, was ihm vor zwei Wochen widerfuhr: Mitte Januar hatte es wie aus Eimern geschüttet, die schwersten Niederschläge seit Menschengedenken. Der Scheich fuhr hinaus, um nachzusehen, wie seine Untertanen die Flut überstanden hatten. "Da sitzt ein alter Mann am Straßenrand, neben ihm seine Frau. Ich stieg aus und hockte mich zu ihm. ,Kennst du mich?', fragte ich. Er schaute mich lange und forschend an: ,Bist du nicht Mohammed, der Sohn von Raschid?' Nicht einmal ,Scheich' hat er zu mir gesagt!"

Nicht überall ist sein Erscheinen gleich beliebt, sein weißer Mercedes G 55 taucht häufig ohne Ankündigung auf, vor Ministerien und Behörden, an Schulen oder an Baustellen. "Er lobt gern", sagt ein deutscher Ingenieur, der ihn mehrfach schon unerwartet empfing, "aber wenn ihm etwas nicht passt, kann er sehr deutlich werden."

Wenn er erkannt wird, lässt sich der Scheich bereitwillig fotografieren, vor allem junge Damen himmeln ihn an wie einen Popstar. Als "kompliziert" wird sein ehelicher Status beschrieben. Scheich Mohammed ist zweifach verheiratet, mit einer entfernten Verwandten aus der Herrscherfamilie und mit der Tochter des verstorbenen jordanischen Königs Hussein. Die Nummer eins hat neun Töchter und sieben Söhne. Als wahrscheinlichster Nachfolger gilt der Auto- und Rennsportfan Hamdan, aber auch dessen 15 Geschwister müssen sich um ihre Zukunft wohl keine Gedanken machen: Scheich Mohammeds Privatvermögen wird auf 14 Milliarden Dollar geschätzt.

Was der Scheich beschließt, wird umgesetzt. Konsultationen finden statt in der Ratsversammlung des Maktum-Clans und der lokalen Fachleute. In den Madschlis-Versammlungen haben auch einfache Bürger die Chance, Vorschläge einzubringen und Kritik zu üben. Die lokale Presse greift Missstände auf, würde aber nie Fundamentalkritik an der Herrscherfamilie üben - wozu auch, alles läuft gut, die Menschen sind stolz auf die Fortschritte ihres Landes, begeistert, wenn Scheich Mo verkündet, bis jetzt seien "gerade mal zehn Prozent" seiner Visionen verwirklicht. Es ist ein paternalistisches System, das davon lebt, dass für alle VAE-Bürger als Teilhaber der Dubai AG eine satte Dividende abfällt: kostenlose medizinische Versorgung und Schulbildung, bei Familiengründung ein Stück Land.

Das alles gilt freilich nur für die "Einheimischen"; gerade einmal jeder achte der 1,4 Millionen Menschen, die im Emirat Dubai leben und arbeiten, hat Anspruch auf einen VAE-Pass und die damit verbundenen Privilegien. Der "Rest" sind die Expatriates und die Fremdarbeiter, ohne die das Wirtschaftswunder in den Emiraten undenkbar wäre.

Die ausländischen, meist aus Europa und den USA stammenden Architekten, Stadtplaner, Ärzte, Im- und Exportkaufleute loben ihre Arbeitsbedingungen, die Steuerfreiheit, die schnellen Wege, die weitgehende Rechtssicherheit in Business-Angelegenheiten.

Wie brüchig diese Rechtssicherheit allerdings in gesellschaftlichen Fragen sein kann, hat sich gerade erst im Fall des 15-jährigen Schülers Alexandre Robert gezeigt. Er wurde von drei Arabern vergewaltigt. Als der Sohn französischer Geschäftsleute die Tat anzeigen wollte, drohten die Behörden ihm mit einer Gegenklage wegen "Provokation verbotener sexueller Praktiken". Die Beamten, die den Fall recherchierten, verschwiegen dem Opfer und seinen Eltern dann auch noch, dass einer seiner Peiniger HIV-positiv war: Aids gilt in Dubai als Tabu, trotz stadtbekannter Schwulentreffs und Hunderter afrikanischer wie osteuropäischer Prostituierter. Der französische Botschafter intervenierte. Und Scheich Mo reagierte prompt nach dem Bekanntwerden des Skandals. Wenn er etwas hasst, dann negative Publicity - die Täter wurden inzwischen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Schwieriger als für die umworbenen europäischen Fachleute ist die Situation für Hunderttausende pakistanische und indische Arbeiter auf den Baustellen. Sie haben wenige Rechte, sie hausen in Baracken, und sie müssen auch noch bei 40 Grad Hitze ran (ab 41 Grad sind die Firmen zum Stopp der Außenarbeiten verpflichtet, weshalb das Thermometer nach Ansicht unabhängiger Beobachter auffallend häufig 40,9 Grad anzeigt). Manchmal streiken die Malocher, verlangen - wie zuletzt im November - mehr Lohn: statt 150 Dollar 180 Dollar im Monat. Wer einmal fehlt, wird abgemahnt; wer wagt, sich demonstrierend mit der Staatsgewalt anzulegen, muss mit sofortiger Abschiebung rechnen.

Einer dieser Malocher ist Salim Golam, 35. Um fünf Uhr früh hat er begonnen, da fuhr er die erste Runde mit seinem Laster. Das ist jetzt 15 Stunden her, und wenn diese Ladung Beton im Fundament einer Neubauvilla an der Jumeirah Beach Road versenkt ist, dann hat er nur mehr zwei oder drei Touren hinaus in eine Schottergrube vor den Toren der Stadt. "Bin ich müde? Ja. Kann ich mich hinlegen? Nein. Nicht vor Mitternacht."

Auch wenn es nicht danach aussieht: Der Lkw-Fahrer aus Jaipur im indischen Bundesstaat Rajasthan ist ein Glückspilz: Er hat einen klimatisierten Arbeitsplatz, er verdient knapp 800 Dollar im Monat, und wenn sich die schwitzenden Männer von der Betonpumpe an seinem Lkw zu schaffen machen, kann er sich eine Viertelstunde lang auf den Randstein hocken und eine Zigarette rauchen: Arbeiterfreuden im Touristenparadies Dubai, wo es mit dem Arbeiterschutz nicht weit her ist.

Unten am Strand lässt die Stadtverwaltung einen Jogging-Parcours für die fitnessbewussten Ausländer anlegen. Lange bevor die aus den Federn steigen, kniet der Inder Vijay Chandaran, 28, bereits im Sand und poliert die Oberfläche eines zentimeterdicken Gummibelags, der die Gelenke der Jogger schonen soll. Chandarans Blaumann ist nach zwei Wochen Knochenarbeit an den Knien durchgescheuert, es knackt hörbar, wenn er sich erhebt. Davor hat er eine kurze Nacht in seinem "Labour camp" draußen in Jebel Ali verbracht: 18 Mann pro Container, verstopfte Toiletten, ein trostloses Dasein.

Noch sind die Scheichs in einer komfortablen Position. Noch können sie mit einer ständig nachströmenden Flut von Arbeitskräften rechnen. Vielleicht bald nicht mehr aus dem Boom-Staat Indien, aber in Bangladesch oder Nepal sind die Wohn- und Arbeitsbedingungen schlechter, die Löhne niedriger, die Möglichkeiten, die Familie zu ernähren, weitaus geringer. Diese Arbeitsmigranten sehen die Emirate trotz aller Ungleichbehandlung als Chance, nicht als Zumutung. In ihren Heimatländern stehen sie Schlange nach VAE-Visa. Ob diese relative Zufriedenheit einmal in Wut umschlägt, wann das sein wird - keiner weiß es.

Scheich Mo darf sich derzeit jedenfalls als einer der großen Gewinner der Globalisierung sehen, als ein Mann zur rechten Zeit am rechten Ort. Seine Vertrauten bezeichnen ihn als "eher apolitisch". Für andere Führer im arabischen Raum hat er selten Zeit, redet aber gern Klartext. "Ändert euch, oder man wird euch ändern", rief er ihnen bei einem seiner seltenen Auftritte im Jahr 2004 zu.

Im kleinen Kreis macht er klar, dass er nicht eine Demokratisierung nach Westminster-Zuschnitt befürwortet, sondern das von oben verordnete Schaffen von Arbeitsplätzen und Aufstiegschancen. Religion hat in diesem Gedankengebäude des Scheichs nur einen "privaten" Platz. "Ich weiß nicht, wer in meinem Staat Sunnit oder Schiit ist, und es interessiert mich auch nicht", sagt der Herrscher. "Wer gut zu seinem Nachbarn ist und hart arbeitet, ist in Dubai willkommen."

Einen Krieg will er nicht führen, auch keinen gegen den Terror. Seine Front heißt ökonomischer Fortschritt. Für diese Auseinandersetzung spart er sich seine martialischen Vokabeln: "Unsere Opfer sollen Armut, Rückständigkeit und Ignoranz sein", sagt der Poet mit Sinn für Pathos. Berührungsängste kennt der Wanderer zwischen den Welten nicht, in dieser Woche kommt er zum Staatsbesuch nach Berlin. Von Ost wie West will er das Beste holen, angepasst an die Landestraditionen. Er fühlt sich Singapurs erfolgreichem Autokraten Lee Kuan Yew näher als amerikanischen oder europäischen Vorbildern.

Am liebsten mit allen Freund, weiß Scheich Mo allerdings auch, gegenüber wem er Abstand halten muss. "Ich liebe die Vereinigten Staaten", sagte Dubais Herrscher dem US-Fernsehsender CBS. "Nur ihre Außenpolitik nicht."

Der moderne Prinz sieht sein Emirat in einer strategisch günstigen Lage. Eineinhalb Milliarden Menschen leben im Dreistunden-Flugradius von Dubai: Das aufstrebende Indien - die Strecke nach Mumbai ist kürzer als die nach Kairo -, und auch Ostafrika sind nah sowie die Märkte Irans und der arabischen Halbinsel.

"Do buy", wirbt es wortspielerisch an jeder Ecke Dubais, und selbst von den Krisen der Region profitiert das Einkaufsparadies; vor allem die Geschäfte mit Teheran blühen. Zwar haben die Behörden auf Druck von Washington etwa hundert iranische Unternehmen geschlossen, doch noch immer gibt es hier mehr iranische Banken als sonst wo auf der Welt.

Und clevere Zwischenhändler finden Wege, die Uno-Sanktionen selbst für hochsensible Waren zu umgehen. Die Emirate sind auch der Hauptumschlagplatz für wohlhabende Pakistaner geworden, für klassisch reiche und dubios reich gewordene. Benazir Bhuttos Ehemann, als "Mister-Zehn-Prozent" bekannt und wie seine im Dezember ermordete Gattin in der Heimat früher wegen Korruption angeklagt, besitzt hier Villen und Wolkenkratzer. Abdul Qadir Khan, der legendäre pakistanische "Doktor Seltsam", der die Atombombe liebte und mit seinem Know-how handelte, hat über seine hiesige Firma Teile seiner Millionendeals abgewickelt, bevor ihn Präsident Pervez Musharraf in Islamabad auf internationalen Druck hin unter Hausarrest stellte.

Und auch die Terroristen von Nine-Eleven - 15 Saudi-Araber, ein Ägypter, ein Libanese und zwei VAE-Bürger - nutzten die Liberalität des Handelsplatzes und Treffpunkts Dubai. Etwa die Hälfte der Gelder für die Attentate von New York und Washington flossen über die Emirate. Die Regierung versprach bessere Kontrollen. Wie die in einem für sein Laisserfaire bekannten Ort aussehen sollen, verriet sie nicht.

In Dubai werden Milliarden investiert. Auch amerikanische Pensionsfonds, deren Investments reiche Gewinne abwerfen, beginnen sich in den Emiraten einzukaufen. Wenn Firmen wie der Hafenbetreiber Dubai Ports World oder die Emirates Airlines an die Börse gehen, erwarten sie für die neu ausgegebenen Wertpapiere mehrere Milliarden Dollar, es muss sich ja lohnen. Die Scheichs kassieren gern, vor allem aber investieren sie: Auf sechs kleingedruckten Seiten stellte das Golf-Forschungszentrum in Dubai kürzlich die "strategischen Auslandsinvestitionen" zusammen: von der ägyptischen Zucker-Raffinerie über den chinesischen Container-Terminal bis zum italienischen Sportwagenhersteller Ferrari.

Nicht allen ist wohl bei der forcierten Einkaufstour der Petro-Milliardäre. Spektakulär scheiterte zum Beispiel vergangenes Jahr die Übernahme von sechs amerikanischen Häfen durch DP World. Es könne nicht sein, warnte der US-Kongress, dass man ein paar Jahre nach dem 11. September Amerikas wichtigste Häfen an die Araber verscherble. Die Scheichs zeigten sich sportlich: Sie zogen ihr Angebot zurück, und anstatt - wie die arabische Presse - die Amerikaner der Hysterie und der Xenophobie zu zeihen, übten sie Selbstkritik: Offenbar müsse man das eigene Marketing verbessern.

Gern sieht man die Golf-Investoren unterdessen in Deutschland, wo sie bislang nicht im Ruf stehen, wie die Heuschrecken übers Land zu ziehen oder, wie chinesische oder russische Staatsfonds, auf strategische Mehrheiten in europäischen Schlüsselindustrien abzuzielen. Und dennoch spielen unübersehbar bei ihren jüngsten Akquisitionen auch strategische Gedanken mit. Gezielt kooperieren die Airlines am Golf mit Fluggesellschaften in Sri Lanka und Singapur, um ihre Dominanz auf der lukrativen "Känguru-Route" von Europa nach Ozeanien auszubauen. Etwa zehn Milliarden Dollar, schätzen die Experten des Golf-Forschungszentrums in Dubai, haben die Golfstaaten zuletzt in Banken investiert, die entweder selbst in Asien sitzen oder dort eine starke Präsenz haben. Zielstrebig geht der Blick der Scheichs nach Osten - dorthin, wo die Ölkunden der Zukunft sitzen.

Dubai leidet nicht an falscher Bescheidenheit oder zu kleinkarierten Zielen: "Stellen Sie sich eine Welt vor, in der keiner ein Fremder ist", wirbt die Zukunftsstadt, in der Angehörige von über 150 Nationen leben und arbeiten. Sie will alles sein: Singapur, St. Tropez und Silicon Valley, New York und Neuschwanstein, Hongkong und Hollywood.

Vorwärtstaumelnd, alle Klischees niederreißend, stilsicher in seiner Stillosigkeit und ohne jeden architektonischen Rhythmus, sieht man einmal ab vom Nur-weitergrößer-Schneller, wirkt dieses Dubai wie auf Speed, und die Grenzen zwischen dem, was ist und was sein wird, verschwimmen. Die Gegenwart ist die Ankündigung, die Werbung für die Zukunftsprojekte der Stadt so real wie die Stadt selbst. Überall blitzen computergenerierte Animationen neuer Projekte auf, zieren Schautafeln und Hochglanzbroschüren, und in den Kaufhäusern nehmen die blinkenden Modelle halbe Stockwerke ein. Selbst Ortskundige sind unsicher: Ist das schon gebaut, wird es gerade gebaut?

Dubai wirkt wie ein gigantischer Dutyfree-Shop mit einer angeschlossenen Stadt. Nichts existiert auf der Erde, was man in den Shopping-Malls nicht kopieren und besser aufbauen könnte - eine Idealwelt, im Zeitraffer erstellt.

Eines dieser Märchenschlösser der Globalisierung ist der mittelalterlichen Welt des Ibn Battuta gewidmet, ein anderes dem alten Ägypten, ein drittes den Schönheiten Italiens. Die Malls sind die wahren Zentren der Dubai-Welt, Kathedralen des Konsums, Mekkas des Marktes, und jeden Monat fast wird ein neuer dieser Illusionstempel eingeweiht, dazu ausersehen, ein neues Marketing-Wahrzeichen der Stadt zu sein.

Und überall noch ein Springbrunnen, noch ein dauerbesprengter Rasen, vom gigantischen künstlichen Kanal, der bald mehrere Stadtteile verbinden soll, einmal ganz abgesehen. Nirgendwo geht man so verschwenderisch mit Energie um wie in den Emiraten, der hiesige "ökologische Fußabdruck" schlägt achtmal mehr ins Gewicht als der des Welt-Durchschnittsmenschen. Aber das scheint hier keinen zu kümmern - Zweifel, das ist etwas für die Vorgestrigen.

Auf dem Emirates Golf Course lockt der "Ball der Ölbarone", französischer Champagner, russischer Kaviar, italienische Trüffel - wieder so ein Dubai-typisches "Best of"-Zitat aus aller Welt. Bleibt die Frage nach der Identität dieser Stadt, die wirkt wie eine Designerdroge ohne erkennbare Nebenwirkungen, flüchtig, nicht nachhaltig.

"Identität lässt sich nicht erzeugen, sie entsteht", meint der Architekturdozent George Katodrytis in einem Aufsatz und zieht eine große Parallele. "Als eine Metropole, die aus dem Nichts kommt und nach einer kommerziellen Logik entwickelt und von Immigranten geprägt wird, erinnert mich dieses Dubai frappierend an das New York zu Beginn des 20. Jahrhunderts."

Doch eine Weltstadt des 21. Jahrhunderts braucht mehr als nur bauliche Superlative, technische Innovationen, mehr als Kommerz. Manche Scheichs haben es schon erkannt. Man braucht auch: Kultur.

Sie heißt Sanaz Rahbar, doch sie wird Sunny genannt - was gut zu ihrem Temperament passt und zum Gründergeist, mit dem sie die Kunstszene von Dubai aufmischt: Sie strahlt wie die roten, gelben und blauen Op-Art-Kompositionen, die gerade in ihrer Galerie aushängen. Zum kleinen Weißen trägt sie giftgrüne Slipper und einen breiten Gürtel. Je nachdem, wer gerade reinkommt, streut sie französische, englische oder persische Komplimente. "Ich bin ein Dubai Kid", sagt sie. "Wir tun uns hier nicht schwer mit Sprachen." Als sie 1977 zur Welt kam, regierte noch der Schah in Iran. Ihr Vater, ein Kaufmann aus Teheran, trieb seit langem Handel am Golf, nach der Revolution ließ er sich in Dubai nieder. Als Sunny Mitte der neunziger Jahre ihren Highschool-Abschluss machte, gab es eine einzige Universität in den Emiraten. Sie ging nach London, um Kunstmanagement zu studieren, und zwei Jahre später nach New York, wo sie sofort einen Job im Guggenheim Museum fand. "Kurz nach dem 11. September 2001 lief mein Vertrag aus. Reiner Zufall - doch ein guter Zeitpunkt für mich zu überlegen, wo ich nun eigentlich hin wollte." Ihre Wahl fiel auf Dubai. Dorthin waren inzwischen auch die meisten ihrer alten Schulfreunde nach Hochschuljahren in Europa und Amerika zurückgekehrt: Saadia, die pakistanische Designerin, die gerade eine regelmäßige Fashion-Show auf die Beine stellte; Schihab, der ägyptische Musiker, der im alten Flughafenhotel einen Club aufmachte und DJs aus New York, London und Kairo nach Dubai brachte; Rishi, der Inder, der hippe Modelabels importierte und inzwischen Shops in allen großen Städten am Golf betreibt. "Was uns von Anfang an verband", sagt Sunny: "Wir wollten hier was Cooles auf die Beine stellen. So viele Kulturen sind sonst nicht leicht an einem Ort anzutreffen." Sunny, heute 30, gründete 2005 unter dem Namen The Third Line eine Kunstgalerie, die als eine der progressivsten im Nahen Osten gilt. In einer asketisch kühlen Halle stellt sie subversive Miniaturen aus Pakistan und provokative iranische Fotografie aus. Auf der Gulf Art Fair, der ersten internationalen Kunstmesse am Golf, bot sie im vergangenen März unter anderem eine Plastik des pakistanischen Künstlers Shezad Dawood feil: einen weißen Snoopy mit Terroristenbart und einer Kalaschnikow um die Schulter. "Ging genauso schnell weg wie der goldene Schlagring mit dem Schriftzug ,Allahu akbar' vorn drauf", sagt die Galeristin. "An einen amerikanischen Sammler natürlich."

Im Ramadan war das Haus voll bis unters Dach, als über "Die Girls von Riad" diskutiert wurde, einen kontroversen Roman aus Saudi-Arabien; dann kam ein Film über die Bombennächte von Beirut im Libanon-Krieg 2006. Afghanische Frauen, marokkanische Kunst, Terror, Liebe und der Medien-Tornado, der den Nahen Osten erfasst hat - es gibt nichts, was in ihrer Galerie nicht wenigstens eine überfüllte Abendvorstellung wert wäre. Und doch blickt das Dubai Kid in diesen Tagen nicht nur auf seine eigene Stadt - in den benachbarten Emiraten tut sich Sensationelles. Die Herrscher des Königreichs Katar, eine Flugstunde entfernt, haben die "Fab Four der internationalen Architektenszene" ("New York Times") zur Gestaltung von Tempeln für die Kunst gewonnen, die Touristen anziehen sollen. Der Chinese I.M. Pei hat sein Museum der Islamischen Künste schon fertiggestellt, weiße Quader, zu einer eindrucksvollen Burg getürmt, schimmern an der Corniche von Doha. Der Spanier Santiago Calatrava hat ein Fotomuseum entworfen, das eine von der Regierung zusammengekaufte spektakuläre Sammlung beherbergen wird. Der Franzose Jean Nouvel konstruiert einen Anbau für das Nationalmuseum. Und der Japaner Arata Isozaki gestaltet die Nationalbibliothek - in Form eines schwebenden Raumschiffs, von drei fast unsichtbaren Säulen getragen.

Doch all das wird noch in den Schatten gestellt von dem, was in Abu Dhabi passiert, eine gute Autostunde von Sunnys Galerie entfernt. Ein aberwitziges Kulturzentrum wird hier aus dem Meeresboden gestampft, Saadiyat Island, "Insel der Glückseligkeit", genannt, 27 Quadratkilometer kulturbeflissener Ehrgeiz, zugepflastert von den teuersten Architekten und beflaggt mit den exklusivsten Namen, die Kunst und Wissenschaft zu bieten haben. Kostenvoranschlag: 27 Milliarden Dollar.

Frank Gehry, der König der Postmoderne, baut eine Filiale des New Yorker Guggenheim Museums - einen wilden Trümmerhaufen aus Kegeln und Zylindern, der selbst Frank Lloyd Wrights berühmten Spiralbau an der Fifth Avenue übertreffen soll. Verglichen mit der neuen Zweigstelle des Louvre dürfte die moderne Glaspyramide vor dem Mutterhaus an den Tuilerien bald eher rührend wirken: Eine überdimensionale umgedrehte Schüssel, 300 Meter im Durchmesser, wird die Exponate aus Frankreich vor der heißen Wüstensonne schützen. Die Sorbonne hat bereits Professoren geschickt, die in provisorischen Containern lehren. Die Yale University überlegt, dort Vorlesungen anzubieten: Nouvelle culture ins Reich der Nouveaux riches, und zwar nicht scheibchen-, sondern kilo-, zentner-, tonnenweise.

Wer aber soll seine Kinder auf diese Universitäten schicken? Wo sind die kunst- und bildungshungrigen Araber, die auf eine so geballte Ladung westlicher Kultur warten? Als der Herrscher von Katar das zehnjährige Bestehen seines Nachrichtenkanals al-Dschasira feiern ließ, dauerte es genau 15 Minuten, bis die meisten Katarer das Weite gesucht hatten und das diplomatische Corps unter sich war: Eine Live-Übertragung aus der Opern-Arena in Verona hatte die Männer in ihren weißen Dischdaschas abgeschreckt. "Es war ihnen einfach zu laut und zu langweilig", erzählt ein Redakteur, der dabei war.

Grundsätzlich - und nicht ohne Herablassung auf die Parvenüs vom Golf - war deshalb die Kritik, die aus Frankreich kam. Von "Kameltreibern" und "Teppichhändlern" war die Rede. "Mein erster Eindruck war, denen ging es nur ums Prestige", zitiert das US-Magazin "Newsweek" den Sorbonne-Präsidenten Jean-Robert Pitte: "Sie wollen den Louvre, das Guggenheim und die Sorbonne - so wie ihre Frauen Handtaschen von Dior wollen."

Bitter stößt den Europäern eine Erfahrung auf, die ihnen nach Jahrhunderten der ökonomischen und kulturellen Weltdominanz nicht mehr geläufig ist: Es gibt inzwischen Reichere als uns - und das nicht nur in Amerika. Kann und soll sich der Westen den Snobismus leisten, diesen Leuten kulturelle Errungenschaften zu verweigern - wenn die gleichzeitig unsere Airbusse im Dutzend kaufen?

Vielleicht ist es auch nur eine Sache der Dimensionen. Höchst beeindruckt pilgern westliche Künstler, Kritiker und Kuratoren alle zwei Jahre zur Biennale in Dubais Nachbarstadt Schardscha, die Scheicha Hoor al-Kassimi, Tochter des Herrschers, dort seit einigen Jahren verantwortet. Was in Schardscha zu sehen ist, wird nirgendwo sonst in der arabischen Welt gezeigt: Schwüle Haremsszenen aus dem 18. Jahrhundert, selbst eine Fotomontage mit George W. Bush beim Geschlechtsverkehr mit Osama Bin Laden ließ die junge Scheicha auf der Gulf Art Fair im März über die Bildschirme laufen.

"Die Emirate sind von Ländern umgeben, die ein Guggenheim lieber in die Luft jagen würden, anstatt eines zu bauen", so die Anthropologin Jane Bristol-Rhys an der Sajid-Universität Abu Dhabi. "Wenn sich Ost und West in den Emiraten nicht mischen können, wo denn dann?"

Die Scheichs vom Golf als die Fugger und Medici des 21. Jahrhunderts - so sieht es die Galeristin Sunny Rahbar. Das Dubai International Finance Center, das die Kapitalmärkte der Welt aufmischt, habe Ambitionen, neben UBS und Deutscher Bank zu den großen institutionellen Kunstanlegern aufzusteigen. "Das wird eine Zeit dauern", sagt die Galeristin Sunny. "Doch ich bin zuversichtlich. Ich sitze schließlich im Beirat."

Also: alles Gold am Golf? Ungetrübte Zukunftsaussichten für das neue Übermorgenland?

Hört man Michael Wette, 36, zu, dann reiht sich Bahrein nahtlos ein in die Perlen der Region, ein Mini-Staat mehr, der auf einem richtigen, auf einem eindrucksvollen Weg ist. Wette muss wohl Optimismus zur Schau tragen - er berät im Auftrag der deutschen Unternehmensberatung Roland Berger die königliche Herrscherfamilie von Manama. "Man muss viel improvisieren", sagt der dynamische Mann aus Westfalen, mit Business-School-Studiengängen in Koblenz, Grenoble und Texas. "Aber mit seinen Banken- und Tourismusprojekten wird Bahrein fit gemacht für eine Zukunft nach dem Öl."

Bahrein ist der ärmste Staat am Golf, oder besser gesagt: der am wenigsten reiche, denn auch sein Pro-Kopf-Einkommen würde manchen EU-Staat noch neidisch machen. Seine Ressourcen schwinden allerdings. Und doch haben Bahreins große Probleme primär mit etwas anderem zu tun: Das Königreich hat eine unterprivilegierte schiitische Bevölkerungsmehrheit, die von der sunnitischen Herrscherfamilie ihre Rechte einzufordern beginnt; und es hat einen mächtigen, allzu mächtigen Nachbarn, der misstrauisch alles beäugt, was in Manama passiert: Saudi-Arabien.

Wenn es denn einen Schwachpunkt in der Region gibt, einen Unsicherheitsfaktor, dann liegt er hier. Mit Saudi-Arabien ist Bahrein - wie mit den VAE, Katar, Kuweit und Oman - im Golf-Kooperationsrat verbunden. Über den König-Fahd-Damm strömen Tausende Touristen aus dem rigiden Wahhabiten-Reich jeden Tag auf die Insel mit den viel lockereren Sitten. "Hier beginnt der Spaß", begrüßt ein Schild auf der bahreinischen Seite die Gäste, von denen Manamas Hotels, Bars und Discotheken erheblich profitieren. Hier könnte der Spaß allerdings auch bald enden - sollten die mächtigen Saudis den Zwerg an ihrer Flanke ganz an die Kandare nehmen.

Oder wenn die Terroristen zuschlagen, wie sie es, freilich bis jetzt eher punktuell, schon getan haben. Mögliche Ziele: das sunnitische Königshaus der Familie Chalifa, die amerikanische Flottenbasis, das äußerst lebhafte, aber in verfeindete Fraktionen zersplitterte Parlament. Bei den letzten, erstaunlich freien Wahlen im November 2006 haben die Schiiten die Mehrheit der Abgeordnetenmandate nur knapp verfehlt, ein Ableger der sunnitischen Muslimbrüder wurde zweitstärkste Fraktion; Verlierer waren die Liberalen.

Seitdem fragen sich Landeskenner, ob die überwiegend zur Unterklasse gehörenden Schiiten ihre Loyalität nicht bald dem Mullah-Reich auf der anderen Seite des Golfs schenken könnten. Schon einmal, in Ajatollah Chomeinis Zeiten, hat Teheran versucht, seine Revolution gewaltsam hierher zu exportieren.

Der kleine Staat Bahrein, an dem große Mächte zerren, steht auch im Zentrum eines höchst interessanten und beunruhigenden Buches. "The Scorpion's Gate" heißt der Thriller, sein Autor: Richard A. Clarke, führender Anti-Terrorismus-Experte im Weißen Haus bis Anfang 2003. Der ehemalige Clinton-Vertraute entwirft ein Alptraumszenario, von dem er sagt, es sei "höchst realistisch": Terroristen überziehen Bahrein mit einer Welle von Bombenanschlägen, in Saudi-Arabien haben Islamisten das Königshaus gestürzt und die Ölquellen besetzt. Im Pentagon schlägt die Stunde der Falken - ein alles zerstörender Weltkrieg droht. Der Golf versinkt im Chaos.

Würde nicht schon ein weit weniger martialisches Szenario in Dubai alle Türme einreißen, alle Träume zerplatzen lassen? Wären die Emirate nicht bereits bei einer Serie kurz hintereinander folgender Anschläge in den großen Hotels, Malls und Vergnügungsstätten dem Untergang geweiht, mit fliehenden europäischen Fachkräften, ausbleibenden Touristen, verbitterten und nach einem Ölpreissturz verarmt zurückbleibenden Einheimischen? Das "neue New York" auf dem Weg zu einer verlassenen, gespenstischen Mad-Max-Steinwüste statt vorausschreitend zur prosperierenden Zukunftsmetropole?

Noch sind die Wüsten weit, und der neue Golf ist die Wasserstelle, zu der die Karawanen ziehen. Am Flughafen, der Keimzelle des modernen Dubai, sind die Ankömmlinge zu sehen - nicht am raumschiffgleichen Raschid-Terminal, an dem die Jets aus Europa und Übersee andocken, sondern gegenüber, am Krisen-Airport, am Terminal Two. Hier landen die Maschinen aus Bagdad und Kabul, aus Kurdistan und aus Äthiopien.

Müde Männer in Badelatschen stehen an den Gepäckbändern, Mütter mit schreienden Kindern im Arm, Menschen, denen mehr ins Gesicht geschrieben steht als ein 15-Stunden-Flug aus New York. Draußen in der schwülen Hitze warten keine livrierten Hotelfahrer auf sie, sondern Autobusse, die offene Fenster haben statt Klimaanlagen. Daneben stehen die Abreisenden und teilen untereinander ihre Kartons und Taschen auf, um kein Übergepäck zu zahlen. Es sind Fernseher und Wolldecken darunter, gebrauchte Computer und Motorradreifen. "Mohammed, Quetta, Pakistan" steht auf einer Kiste, "Ali Ibrahim, Nadschaf, Irak" auf einer anderen.

Dubai blüht inmitten einer aus den Fugen geratenen Weltgegend, und der Aufschwung hat das Elend von Palästina, den libanesischen Bürgerkrieg, Saddam und Chomeini, den 11. September und den jüngsten Golfkrieg überdauert. "Wir sind ungefähr das, was die Schweiz im Zweiten Weltkrieg war", sagt Scheich Haschir Al Maktum, der Schwager von Scheich Mo. "Wenn unsere Söhne so fleißig sind wie unsere Väter und es so klug anstellen wie wir, dann ist mir nicht bange."

Jahrzehntelang sind die Massen nach Saudi-Arabien, in den Irak und nach Iran gepilgert, haben fanatische Ideologien und ihren Frauen schwarze Umhänge mitgebracht. "Heute pilgern sie an den Golf", sagt der ägyptische Autor Jussuf Ibrahim, "und was bringen sie von hier mit? Jeans und Tanktops für ihre Frauen und Ideen, wie man ein Geschäft machen könnte. Der ägyptische Nasserismus ist tot, der irakische Baathismus ist gescheitert, der militante Islam geht seinem blutigen Ende zu. Es lebe der arabische Kapitalismus!"


Viele Grüße, Ulla

"Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will" Francois Rabelais