Vater nach 25 Jahren wiedergesehen
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01/05/04 01:25 PM
01/05/04 01:25 PM
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Joined: Jun 2003
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Sonja
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Köln
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Hallo Zusammen,
nach einigem hin und her bin ich am 05. April 2004 das erste Mal in meinem Leben nach Marokko und somit auch zum ersten Mal in ein islamisches Land geflogen. Eigentlich wollte ich ja bereits letztes Jahr nach Marokko, vielleicht erinnert sich der ein oder andere von Euch an meinen Beitrag : Das 1. Mal Marokko, das 1. Mal zu meinem Vater.
Ich fasse trotzdem noch mal kurz zusammen: Als ich fünf Jahre alt gewesen bin, ist mein Vater aus Deutschland ausgewiesen worden. Danach hat er versucht, Kontakt zu halten aber meine Mutter und auch meine Großeltern haben mir das verschwiegen. Zwischenzeitlich hatte mein Vater dann auch aufgegeben – und zwar für sehr lange Jahre :-)
Mittlerweile bin ich dreißig und habe das erste Mal vor drei Jahren wieder von meinem Vater gehört. Wir haben uns zigmal hin- und hergeschrieben und ich habe dann erfahren, dass mein Vater kurz nach seiner Abschiebung in Marokko geheiratet hat und Vater von 6 weiteren Kindern ist (4 Töchter, 2 Söhne).
Jetzt aber genug zur Vorgeschichte.
Also mit meiner besten Freundin im Gepäck bin ich am 5. April nachts um 23:30 Uhr in Casablanca gelandet. Die Wochen vor dem Abflug und selbst während des Fluges nach Casablanca habe ich cooler getan, als ich war bzw. bin. Natürlich war ich innerlich fix und fertig und total aufgewühlt, meinen Vater nach 25 Jahren das erste Mal wiederzusehen.
In Casablanca angekommen, Gepäck abgeholt und raus zum Ausgang. Wow, da steht mein Vater, nimmt mich ganz fest in die Arme und fragt mich, wie´s mir geht. In dem Moment wünschte ich, dass wir ganz alleine wären, obwohl ich natürlich froh bin, dass meine beste Freundin mitgekommen ist. Auch mein Vater hat einen Freund dabei – Badre, der in der Nähe meines Vaters lebt.
Die erste Nacht schlafen wir alle in einem Hotel in Casablanca und bekommen das letzte Mal eine "normale" Toilette zu sehen. Ich will auch gar nicht in Casablanca bleiben, ich will zu meinen Halbgeschwistern und das Dorf, in dem mein Vater lebt, sehen. Mein Vater lebt ca. 8 km entfernt von Mechra Bel Ksiri, was wiederum ca. 120 km nördlich von Rabat liegt.
Endlich, am nächsten Tag geht es los. Zug fahren in Marokko ist schon ein Erlebnis für sich. Die Leute steigen aus – synchron dazu versuchen die Leute auf dem Bahnsteig einzusteigen. Mein beste Freundin legt sich gleich der Länge nach hin.
Während der Zugfahrt: ich sehe prachtvolle Häuser, kurz danach Kolonien von dürftig zusammengenagelten Bretterbuden. Und immer wieder muss ich meinen Vater anschauen, weil ich kaum glauben kann, dass wir uns wirklich gegenübersitzen. Mein Vater neigt übrigens dazu, nicht nur während der Bahnfahrt, sondern während der ganzen Zeit unseres kurzen Aufenthaltes, dort wo er auftaucht, die Leute zu unterhalten.
Nachdem wir mit dem Zug in Mechra Bel Ksiri angekommen sind, verabschiedet sich Badre und mein Vater, meine Freundin Diana und icke fahren mit einer Kutsche raus aus Mechra Bel Ksiri und rein ins Abenteuer. Der Kutscher biegt links ab in einen Feldweg und wir fahren rein ins Dorf (Negara). Die Menschen, die dort leben haben noch nie Europäer im Dorf gehabt und entsprechend groß ist die Aufregung. Die Leute bleiben stehen und starren uns hinterher (das meine ich nicht negativ). Ich frage meinen Vater immer wieder, wie weit es noch ist und er sagt, bald sind wir da. Marokkanische Längen- und Zeiteinheiten unterscheiden sich deutlich von europäischen. Die Kutsche hält endlich an und die gesamte Familie steht schon vor dem Haus. Entgegen meiner Befürchtung, dass die Begrüßung hölzern verlaufen könnte, fallen mir nacheinander meine Stiefmutter und meine Geschwister um den Hals und die Älteste der Töchter, Zinab weint sogar vor Freude. Ich fühle mich direkt herzlich aufgenommen und es gibt von Anfang an keine Berührungsängste. Abends kommen zig Nachbarn und Verwandte zu einem großen Essgelage zusammen. Diana und ich werden abgeküsst, gedrückt und neugierig beobachtet.
Ich muss nun das erste Mal auf Toilette. Mein Vater schämt sich, da er nur eine Bretterbude mit einem Erdloch hat. Mir ist das wirklich egal, ich wusste ja schon vorher, dass mein Vater kein wohlhabender Marokkaner ist (mein Vater sagte mal lachend über sich selbst, dass auf seinem Grabstein "hier liegt Sidi Zero begraben" stehen wird). Geschlafen wird auf Decken auf dem Boden der Lehmhütte und meine Rückenschmerzen, die ich aus Deutschland mitgebracht habe, sind nach zwei Tagen komplett verschwunden.
Ich muss eins sagen: meine anfänglichen Ängste, mit der Kultur und der Religion der Menschen aufeinander zu stoßen sind schnell weggeblasen. Diana und ich haben sämtliche Freiheiten und selbst als ich es nicht mehr aushalte und mir doch eine Zigarette anzünde, gibt es niemanden, der sich darüber mokiert. Im Gegenteil, wir haben bald verbündete Marokkanerinnen, die auch mal schnell und heimlich an unseren Zigaretten ziehen. Überhaupt, die marokkanischen Mädchen und Frauen sind, wenn sie unter sich sind, kaum zu bremsen. So alberne, ausgelassene Menschen habe ich selten, wenn nicht noch nie erlebt.
Gleich sprenge ich das Forum, mit meinem ultralangen Beitrag. Es gibt auf jeden Fall so viele Eindrücke und Erlebnisse, dass ich eigentlich ewig weiterschreiben könnte. Das man in nur 10 Tagen so viele Dinge erleben und seine vorurteilbehaftete Einstellung gegenüber islamischen Ländern ändern kann, sagt eigentlich alles.
Fazit: sobald es mir möglich ist werde ich wieder nach Marokko fahren.
Viele herzliche Grüße aus Köln Sonja
PS: Das ein oder andere Erlebnis werde ich noch ins Forum schreiben, wenn sich die Eindrücke mal etwas gesetzt haben.
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Re: Vater nach 25 Jahren wiedergesehen
#79072
01/05/04 10:39 PM
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Joined: Jul 2003
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Siri
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Bremen
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Hallo Sonja,
auch ich erinnere mich noch gut an deine Geschichte und freue mich für dich, dass sie ein so gutes Ende oder - vielleicht sollte man besser sagen - einen so guten Anfang genommen hat.
Herzlichst Siri
Es ist schon alles gesagt! Nur noch nicht von allen. (Karl Valentin)
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