SPIEGEL ONLINE - 24. Januar 2003, 16:30
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http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,232128,00.html Interview mit Jürgen Todenhöfer
"30 Tage Bomben provozieren 30 Jahre Terrorismus"
Der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete und jetzige Burda-Manager Jürgen Todenhöfer ist streitbarer Verfechter der deutsch-amerikanischen Freundschaft. In den 80er Jahren bereiste er unter Lebensgefahr das von Sowjets besetzte Afghanistan, jetzt war er zweimal in Bagdad. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt er die Irrtümer des Kreuzzugs gegen den Terror und warum George W. Bush ein Anti-Amerikaner ist.
DDP
"Ich bin ein alter Europäer": Jürgen Todenhöfer
SPIEGEL ONLINE: Sind Sie ein alter Europäer?
Todenhöfer: Im besten Sinne des Wortes. Ich bin mit einer Französin verheiratet, eine Tochter lebt in London. Im Französischen gibt es einen Begriff für die Ehe, der so viel bedeutet wie "zärtlicher Krieg". Damit kennen sich Deutsche und Franzosen aus.
SPIEGEL ONLINE: Die USA tauschen mit Frankreich und Deutschland aber keine Zärtlichkeiten mehr aus.
Todenhöfer: Das müssen sie auch nicht. Zuhören würde ja schon reichen. Ich bin ein großer Freund der USA. Aber wie verhalte ich mich, wenn mein bester Freund ein wehrloses Nachbardorf überfallen will und ich das für falsch halte? Bin ich dann ein Freund, wenn ich mitmache, oder bin ich ein Freund, wenn ich ihm sage: Stop! So nicht!
SPIEGEL ONLINE: Ihr Freund hält den Irak keineswegs für wehrlos, sondern für eine große Bedrohung.
Todenhöfer: Ich war gerade zweimal im Irak. Dieses Land kann man nicht K.O. schlagen. Es ist bereits K.O.
SPIEGEL ONLINE: Aber fit genug für ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Waffeninspektoren?
Todenhöfer: Der Irak gehört abgerüstet. Aber nicht durch einen Krieg. Die Waffeninspektoren haben in den 90er Jahren zehn Mal mehr Waffen gefunden und vernichtet als Bush senior in seinem Golfkrieg. Das Land war noch nie so geschwächt wie jetzt, die Situation noch nie so günstig, um alle Bedingungen durchzusetzen, um die vermeintliche Bedrohung durch den Irak einzudämmen.
SPIEGEL ONLINE: Wären die Inspektoren denn überhaupt im Land, wenn die USA nicht diese Drohkulisse aufgebaut hätten?
Todenhöfer: Ich bin durchaus für Härte. Aber den USA geht es nicht um die Inspektoren. George Bush will diesen Krieg. Einen Krieg, der völkerrechtswidrig, kontraproduktiv, unmoralisch und unnötig ist.
SPIEGEL ONLINE: Was sind denn Bushs Motive für diesen Krieg?
Todenhöfer: Er braucht dringend einen vorzeigbaren Erfolg. Das erklärte Ziel seiner Terrorbekämpfung in Afghanistan hat er verfehlt. Dort sind über 6000 Zivilisten durch amerikanische Bomben getötet worden. Aber Osama Bin Laden ist der größten Armee der Welt auf dem Rücken eines Esels entkommen. Dazu kommen geopolitische und wirtschaftliche Interessen. Außerdem ist der Irak ein leichtes Ziel. Mit Nordkorea wird verhandelt, obwohl wir dort bereits wissen, dass ein Diktator Massenvernichtungswaffen besitzt, viel gefährlichere, als der Irak jemals hatte. Warum wird mit dem viel schwächeren Irak nicht verhandelt? Pakistan und Indien besitzen Atomwaffen, in Saudi Arabien finden Terroristen Unterstützung und Unterschlupf. Aber das sind "Verbündete" der USA.
Jürgen Todenhöfer
Der jetzige stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Burda-Verlages war über fünf Legislaturperioden Bundestgasabgeordneter der CDU. Der Experte für Entwicklungshilfe und Abrüstung mischte sich mehrmals zum Unwillen der eigenen Partei mit ungewöhnlichen Methoden in die internationale Politik ein. 1975 reiste er zu dem chilenischen Diktator Pinochet und setzte die Freilassung politischer Gefangener durch. 1980 reiste er geheim und unter Lebensgefahr in das von Sowjets besetzte Afghanistan und rüttelte die Weltöffentlichkeit wach für das Elend der Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge in Pakistan. Der erklärte Freund der USA besuchte gerade als 62-jähriger zweimal Bagdad und streitet nun gegen den möglichen Irak-Feldzug: "Ein Irak-Krieg wäre das Paradebeispiel eines ungerechten Krieges."
SPIEGEL ONLINE: Das sind Deutschland und Frankreich auch.
Todenhöfer: Bündnisfragen sind sehr wichtig, gerade im Verhältnis zu den USA. Aber in diesem Fall sind sie zweitrangig. Wichtiger ist die Frage: Ist dieser Krieg gerecht oder nötig? Die eindeutige Antwort lautet: Nein. Also müssen wir uns dagegenstellen.
SPIEGEL ONLINE: Das Grundgesetz verbietet die Beteiligung oder Unterstützung eines Angriffskrieges. Umfasst das auch Überflugrechte und die Awacs-Einsätze?
Todenhöfer: Alles, was einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg unterstützt, ist bei uns strafbewehrt. Ich bin für Härte bei der Terrorbekämpfung. Aber mit Krieg jagt man keine Terroristen, das ist ein dummer Gedanke. Im Gegenteil: 30 Tage Bomben auf den Irak provozieren 30 Jahre weiteren Terrorismus. Am stärksten profitiert von einem Irak-Krieg nicht George Bush, sondern Bin Laden. Ein Krieg wäre die Bestätigung für Fundamentalisten, dass der Westen unmoralisch handelt, den Islam mit anderen Maßstäben misst, ihn weiter demütigt und dass der Westen deshalb bekämpft werden muss.
SPIEGEL ONLINE: Lässt sich dieser Automatismus noch aufhalten, der die Weltöffentlichkeit darauf vorbereitet, dass ein Krieg unvermeidbar sei?
Todenhöfer: Frankreich und Deutschland müssen im Sicherheitsrat mit Nein stimmen. Die USA dürfen kein Uno-Mandat für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg bekommen. George Bush darf nicht denken: "Le monde c'est moi". Und wenn er es alleine und mit den Briten macht, dann muss immer wieder laut und deutlich von allen protestiert und gesagt werden: Der Champion der Freiheit, die USA, brechen mit einem Angriffskrieg Völkerrecht. George Bush ist dann der Anti-Amerikaner, weil er die Werte verrät, für die dieses wunderbare Land steht. Vor allem Europa muss ein möglichst einheitliche Position beziehen und sich in den Weg stellen.
AP
Antiamerikanismus, Made in USA: Bush-Krieger
SPIEGEL ONLINE: An einer einheitlichen Position fehlt es. Warum sollte auf europäischer Ebene gelingen, wozu nicht mal ihre eigene Partei, die CDU, in der Lage ist?
Todenhöfer: Dafür fehlen mir selbst die Worte. Ich bin fassungslos. Die Union hatte als Regierungspartei offensichtlich weniger Probleme, sich aus Kriegen rauszuhalten. Und jetzt, in der Opposition, schafft sie es nicht, laut "Nein" zu sagen. Dabei spürt und sieht fast jeder Mensch, wie ungesetzlich und unmoralisch dieser Krieg wäre.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Alternativen in der Terrorbekämpfung?
Todenhöfer: Terroristen gehören gejagt - mit aller Härte. Aber mit Polizei-Methoden und allen erprobten und bekannten Mitteln der Terrorbekämpfung: Dazu gehört Zielfahndung, die Unterstützung, das Umfeld, die Finanziers austrocknen, die selbsterklärte "moralische" Grundlage entziehen, ihnen die religiöse Maske vom Gesicht reißen - denn sie handeln keineswegs im Namen Allahs - die Ursachen erkennen - und viel, viel Geld. Härte und Gerechtigkeit, nicht Bomben auf Unschuldige. Dazu gehört auch stärkeres Engagement im Nahen Osten, eine Lösung, die die Interessen Israels genauso berücksichtigt, wie die der Palästinenser.
SPIEGEL ONLINE: Das sind Methoden, von denen Donald Rumsfeld sagen würde: "altes Europa".
Todenhöfer: Ach, jener Donald Rumsfeld, der 1983 zu Saddam Hussein gereist ist, um ihm die Unterstützung der USA im Krieg gegen den Iran anzudienen? Jener Rumsfeld, der Hussein die Waffen in die Hand gab, mit der er das eigene Volk ermordete? Mag sein, dass ich ein alter Europäer bin. Dann ist Rumsfeld ein alter Mann mit altem Denken.
Das Interview führte Markus Deggerich
Von Jürgen Todenhöfer ist gerade im Herder-Verlag das Buch erschienen: "Wer weint schon um Abdul und Tanya? - Die Irrtümer des Kreuzzugs gegen den Terror" (224 Seiten, 19.90 Euro)
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Claudia Poser