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Mahmoud Mohamed Taha #33126
06/03/03 06:54 PM
06/03/03 06:54 PM
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Anna Norge Offline OP
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Anna Norge  Offline OP
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Hallo, alle miteinander!

In einem Beitrag heute, zur Diskussion über das Tragen des Schleiers, erwähnte @Cindyrella den Namen des sudanesischen Gelehrten Mahmoud Mohamed Taha.

Seit einiger Zeit habe ich angefangen ein Buch zu lesen von M. M. Taha: "The Second Message of Islam" (englische Übersetzung publiziert 1987. Originaltitel: al-Risalah al-thaniyah min al-Islam).

Ich habe aber leider noch nicht so viel Zeit gehabt, um mich gründlicher damit zu beschäftigen.

Wenn ich es recht verstehe, hat M.M.Taha u.a. auf eine Neuauslegung islamischer Scharia-Gesetze hingearbeitet, unter dem Aspekt der allgemeinen Menschenrechte.

Hat jemand von Euch sein Werk "al-Risalah al-thaniyah min al-Islam - The Second Message of Islam" gelesen? Oder könnte jemand sonst noch mehr über sein Leben und Werk berichten?

Es würde mich mal interessieren, welche Stellung die Lehre von M.M. Taha, heutzutage hat, d.h. fast 20 Jahre nach seiner Hinrichtung im Sudan im Jahre 1985.

Anna

Re: Mahmoud Mohamed Taha #33127
06/03/03 07:20 PM
06/03/03 07:20 PM
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U l l a Offline
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U l l a  Offline
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Hallo Anna,

der Titel und die Beschreibung klingen sehr interessant, ich würde es mir gerne kaufen und mich mit Dir austauschen. Weißt Du, warum er hingerichtet wurde ?

Gruß, Ulla


Viele Grüße, Ulla

"Ein Kind ist kein Gefäß, das gefüllt, sondern ein Feuer, das entzündet werden will" Francois Rabelais
Re: Mahmoud Mohamed Taha #33128
07/03/03 12:13 PM
07/03/03 12:13 PM
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Cindyrella Offline
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Cindyrella  Offline
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Hallo Anna,

ich habe mich ein wenig mit den Thesen des Herrn Taha befasst, bin aber noch ziemlich am Anfang.

Seine Ideologien kommen dem europäischen Humanismus sehr nahe. Er unterteilt den Koran zwischen einer medinensischen und mekkanischen Offenbarung und leitet daraus seine Thesen. Er sagt, dass die Predigten in Medina (erste Botschaft, laut Taha) zeitbezogen sind und diese hätten im 7. Jahrhundert Gültigkeit besessen, aber heute nicht mehr. Die zweite Botschaft aus der Offenbarungsphase in Mekka hätten dagegen allgemeingültigen Charakter für die Ewigkeit. Aus dieser Unterteilung leitet er auch ein neues Rechtswesen ab.

Im Buch "die zweite Botschaft des Islam" (leidernur auf englisch oder arabisch erhältlich) geht es im Kern um folgendes auch teilweise im Buch von Annette Oevermann nachzulesen (der nachfolgende Text ist nur reinkopiert):

Mit der Idee der zweiten Botschaft des Islam, hat Taha eine originäre Islaminterpretation geschaffen, die aber über das bloße Verwischen von Gegensätzen zwischen Volks- und Schriftislam hinausgeht. "Die zentrale These Tahas, auf der seine Forderung nach einer Reformierung des islamischen Rechts basiert, besagt, daß Mohammad mit dem Koran gleich zwei Botschaften Gottes übermittelt habe, von denen die erste, in Medina geoffenbarte und aus konkreten und detailierten Gesetzesbestimmungen bestehend, speziell für die islamische Gemeinschaft des siebten Jahrhunderts gedacht und daher von zeitlich begrenzter Gültigkeit gewesen sei, während die zweite Botschaft, in Mekka verkündet, die grundlegenden Prinzipien der Religion (usul ad-din) beinhalte und als solche von ewigem Wert im Gegensatz zur ersten Botschaft heute noch maßgeblich sei."

Tatsächlich ist zwischen den mekkanischen und den medinensischen Suren des Quran ein systematischer Unterschied zu erkennen auf den auch europäische OrientalistInnen immer wieder aufmerksam gemacht haben. In Medina — wo Muhammad als Richter (qadi) tätig war — haben die Suren einen wesentlich stärkeren politischen und rechtlichen Charakter als in Mekka. Bei den mekkanischen Suren geht es eher um Mystik und grundlegende ethische Werte. Diese grundlegenden ethischen Werte sind nun für Taha die zweite Botschaft des Islam, die zeitlose Gültigkeit für sich beanspruchen kann, während die konkreten rechtlichen Vorgaben des siebten Jahrhunderts heute ihre Gültigkeit auch dann verloren haben, wenn sie quranischen Ursprunges sind.

Die Grundlegenden Prinzipien der Religion faßt Taha wie folgt zusammen:

"Das grundlegende Prinzip (al-asl) im Islam ist, daß jeder Mensch frei ist [...], denn die Freiheit ist ein natürliches Recht (haqq tabi´i) dem die Pflicht zum verantwortlichen Umgang mit der Freiheit (husn at-tasarruf fi l-hurriya) entspricht.

Das grundlegende Prinzip im Islam ist Gemeinschaftlichkeit des Besitzes (suyu´al-mal) zwischen allen Menschen.

Das grundlegende Prinzip im Islam ist vollkommene Gleichberechtigung (al-musawat at-tamma) zwischen Männern und Frauen."

Mit diesen Positionen nähert sich Taha — ohne explizit davon zu sprechen — den der europäischen Aufklärung zugrundeliegenden Werten ebenso an, wie sozialistischen Vorstellungen, die das Gemeineigentum betonen. Wenn er von der Freiheit als natürliches Recht spricht, so erinnern diese Argumente an die Naturrechtsdebatte der europäischen Aufklärung und an frühe Menschenrechtskonzeptionen.

Seine Sozialismusvorstellungen klingen oft etwas nebulös und basieren sicherlich nicht auf marxschem Gedankengut, sind aber teilweise von diesem beeinflußt und versuchen einen eigenen islamischen Sozialismus zu schaffen.

Für Taha heißt Sozialismus, "that people share the wealth of the earth."15 Konkret definiert Taha seinen "wissenschaftlichen Sozialismus", den er von selbigem marxistischen Begriff unterscheidet über zwei Prinzipien:

"first increased production from such resources as minerals, agriculture, animal wealth and industry by means of science, technology, and administration; and second, equitable distribution involving the way that the minimum limit is guaranteed to every citizen, including children, old people, and the disabled, at a level sufficient to sustain dignified human existence."16

Taha ist mit dieser Sozialismusdefinition weit davon entfernt, Wertproduktion und Eigentum an sich abschaffen zu wollen. Vielmehr will er eine Angleichung von Einkommen und Besitz, um in sich geschlossene Klassen zu verhindern: "The gap between maximum and minimum income must not be wide enough to create a higher class which refuses to marry from the lower-income class. [...] No citizen should own anything individually except a house and surrounding garden, furniture, a car. The key here is that no one should be allowed to own anything that permits the exploitation of one citizens labor to increase the income of another."17

Der Gleichberechtigung der Frauen mißt er einen wichtigen Platz zu. Immerhin ist dies für ihn ein Grundprinzip des Islam. "Bei Ehen zwischen Republikanischen Brüdern und Schwestern wird ein Vertrag unterzeichnet, der Polygamie ausschließt und der Frau das Recht auf Scheidung gibt."18

Gesetze dienten für ihn schließlich in der islamischen Umma des siebten Jahrhunderts primär als Erziehungsmaßnahme für Menschen, die noch nicht den Entwicklungsstand der gegenwärtigen Menschheit erreicht haben. In seinem Evolutionsmodell sind nun die Muslime fähig, die Grundprinzipien der Religion ohne die strikten Gesetze der islamischen Frühzeit zu leben. Der Islam sollte nur noch durch friedliche Mission und aktives Vorleben einer islamischen Ethik verbreitet werden.

Auch in der persönlichen Religionsausübung geht Taha — wie viele islamische Mystiker der verschiedensten Sufi-Orden — davon aus, daß Muslime, die einen bestimmten Grad an religiöser und ethischer Entwicklung erreicht haben, nicht mehr unbedingt an die äußeren Riten des Islam gebunden sind, sondern eine höhere Stufe der religiösen Praxis erreicht haben, in der nicht mehr die strikte Einhaltung von Gebetszeiten oder des Fastenmonats von Wichtigkeit ist, sondern die individuelle oder gemeinschaftliche mystische Gotteserfahrung.

Tahas Islamkonzeption ist also viel weniger an äußerlich-formalisierte Religionsausübung und an den Gesetzesislam gebunden als die eines Hasan al-Turabi. Weil Taha dies aber islamisch begründet und an sich ein genauso islamisch-integralistisches Weltbild vertritt wie Hasan al-Turabi, wurden die Thesen der Republikanischen Brüder zu einem Hauptfeindbild der Muslim-Brüder und einer Reihe anderer konservativer Muslime.

Genau das könnte ihn aber langfristig zu einem bedeutenden Denker und Wegbereiter einer islamischen Moderne machen, die sich aus ihren eigenen geistigen Ressourcen speisend den Problemen und Herausforderungen der Moderne auf eine weit zukunftsweisendere Art stellen will, als dies reaktionäre IntegralistInnen wie Hasan al-Turabi je könnten.

Taha will stattdessen von den Prinzipien der Religion (usul ad-din) ein modernes, zeitgemäßes islamisches Recht neu herleiten.

Ich hoffe, dass ich Dir mit diesem Text ein wenig geholfen habe die Ideen von Mahmoud Mohamed Taha zu verstehen. Meiner Meinung nach wurde im oberen Text das Buch ziemlich gut zusammengefasst, dennoch lohnt es sich es zu lesen.

Liebe Grüße,

Cindyrella


Immer, wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen.
(Mark Twain)

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