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Die Geschichte der Masiren #25197
01/03/02 12:24 PM
01/03/02 12:24 PM
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Hallo zusammen,

diesen Beitrag habe ich letztes Jahr schon einmal ins Forum gestellt, doch beim Verschieben der Amazighen Seiten in den neuen Forumsteil ist der Beitrag verloren gegangen.

Da ich diese 3 Artikel über die Geschichte der Masiren sehr gut finde, und es schon mal Probleme mit deren Website gegeben hat kopiere ich alles hierherein.

Viele Grüsse


give peace a chance.

Re: Die Geschichte der Masiren #25198
01/03/02 12:28 PM
01/03/02 12:28 PM
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Hier die Website des marokkanischen Masirenvereins in Frankfurt: http://www.mvtks.de

Die Artikel sind in deren Zeitschrift Taziri erschienen.


...
TAZIRI
Organ des MVTKS e. V.
Zeitschrift zur Pflege und Förderung
der masirischen Sprache und Kultur

TAZIRI ist eine Zeitschrift, die der MVTKS e. V. seit 1997 unter der ISBN 1433-9226 in unregelmäßigen Abständen herausbringt. Die bisher erschienenen zwei Bände von TAZIRI (1/97 und 2/98) können mittlerweile sogar in der Deutschen Bibliothek und in der Universitäts- und Stadtbibliothek Frankfurt am Main eingesehen werden.
Auf dieser Web-Site werden lediglich Auszüge aus der Zeitschrift veröffentlicht. Ferner sind die Beiträge hier im Gegensatz zu den gedruckten Ausgaben nur in beschränktem Umfang bebildert.

......


give peace a chance.

Re: Die Geschichte der Masiren #25199
01/03/02 12:34 PM
01/03/02 12:34 PM
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Die Geschichte der Masiren
(Teil 1: Von den Anfängen bis zur Ankunft der Araber)
Taziri 1/97, S. 27-34

Woher die Masiren stammen, wird noch immer kontrovers diskutiert. Stammen sie aus dem Osten? Kamen sie aus dem Norden – über die Iberische Halbinsel oder über den Apennin? Stammen sie vielleicht aus den Tiefen der Sahara? Oder brachen sie einst aus dem Hohen Norden Europas nach Nordafrika auf? Ist es schließlich nicht möglich, daß die Masiren schon immer da waren, wo sie jetzt sind?
Dafür, daß die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegen muß, spricht, daß die Masiren bereits äußerlich kein einheitliches Bild abgeben. Es gibt schwarzhäutige Masiren, blonde Masiren mit blauen Augen, Masiren südeuropäischen Typs, Masiren mit indianischen Gesichtszügen und Masiren, die von allem etwas haben.
Auch kann von e i n e r masirischen Kultur nicht die Rede sein. Die Vielfalt der Sitten und Gebräuche ist verwirrend. Die Masiren müssen also einem diffusen Völkergemisch entsprungen sein. Was sie heute verbindet, ist im wesentlichen eine gemeinsame Sprache. Wer von d e n Masiren spricht, muß demnach primär eine Sprachgemeinschaft vor Augen haben, die sich im Westen von den Ufern des Atlantiks bis an die ägyptische Oase Siwa im Osten erstreckt und von der Mittelmeerküste im Norden bis an den Rand der Sahelzone im Süden reicht. Welche ethnischen und rassischen Elemente die Masiren im Laufe der Jahrhunderte in sich aufgenommen haben, soll jedoch nicht Gegenstand eines geschichtlichen Abrisses sein. Dieser Frage wird Taziri einen speziellen Artikel widmen. Hier soll vielmehr diejenige Geschichte interessieren, über die es zuverlässige und ergiebige Quellen gibt.

1. Die Masiren und die Alten Ägypter
2. Die Masiren und die Alten Griechen
3. Die Masiren und die Punier
4. Der Masirenkönig Massinissa
5. Der Masirenkönig Jughurtha
6. Der Masirenkönig Juba I.
7. Der Masirenkönig Juba II.
8. Die Masiren und die Alten Römer
9. Der Rebellenführer Takfarinas
10. Masiren führen das Römische Reich
11. Die Masiren und die Alten Germanen

Die Masiren und die Alten Ägypter
Die frühesten Zeugnisse über die Masiren stammen von den Alten Ägyptern. Die östlichste Fraktion der Masiren waren ihre unmittelbaren Nachbarn. Sie wurden von den Ägyptern “Libyer” genannt. Als die Austrocknung der Sahara stetig voranschritt, verließen zahlreiche Libyer um 2300 v. Chr., von Südwesten kommend, ihre angestammte Heimat und ließen sich im westlichen Nildelta und in der Seelandschaft Fayyum nieder. Sie waren auf der Suche nach fruchtbaren Böden fündig geworden. Von Hunger getrieben rannten um 1210 v. Chr. weitere libysche Stämme gegen die Grenzen des Alten Ägyptens an und wurden unter dem Pharao Merenptah abgewehrt. Die Verbündeten der Libyer waren sogenannte “Seevölker”. Diese Völker waren mehrheitlich indogermanische Stämme von den Küsten Italiens, Griechenlands und Kleinasiens. Die Einzelheiten von Merenpthas Sieg sind in einer Inschrift im Tempel von Karnak festgehalten.
Zu Zeiten des Pharao Ramses III. (ungefähr 1182-1151 v. Chr.) schlossen sich den Libyern andere masirische Stämme an. Etwa zur gleichen Zeit waren von Norden her wieder die Seevölker eingefallen. Ramses III. machte diesem altertümlichen Zwei-Fronten-Krieg erfolgreich ein Ende. Er ließ unter seinen Gegnern ein gewaltiges Blutbad anrichten; er nahm ihre Frauen und Kinder “zu Zehntausenden” gefangen und beschlagnahmte ihr Vieh “zu Hunderttausenden”. Masiren, die mit ihrem Leben davonkamen, wurde auf die Haut der Name des Königs eingebrannt und wurden so zu seinen Sklaven. Inschriften im Palast von Medinet Habu erzählen von diesen Kämpfen. Damit waren die Libyer endgültig bezwungen worden. Masiren fanden jedoch weiterhin Aufnahme im Reich der Alten Ägypter. Viele von ihnen dienten im ägyptischen Heer.
Etwa 945 v. Chr. bestieg ein Masire namens Scheschonq den ägyptischen Thron und begründet die 22. Dynastie. Bis 724 v. Chr. sollten Dynastien libyscher Söldnerführer insgesamt neun Könige Ägyptens stellen. Sie hießen meist Scheschonq, Osorkon oder Takelothis und erscheinen total als Ägypter; sie unterscheiden sich in nichts von den angestammten Pharaonen. Mit der Übernahme der Macht durch libysche Söldnerführer zerfiel das Reich und löste sich schließlich auf. Nacheinander wurde Ägypten dann von den Äthiopiern und Assyrern erobert. 664 v. Chr. befreite der libysche Fürst Psammetich I. das Land, führte es wieder zusammen und brachte es zur Blüte.
Auf ägyptischen Abbildungen treten uns “Fürsten der Libyer” entgegen, die sich somatisch überhaupt nicht von den Alten Ägyptern unterscheiden. Ein äußerlicher Unterschied bestand lediglich in der Tracht, die gegenüber der ägyptischen archaischen Züge trägt: die “Fürsten” trugen einen Bart, während die Ägypter rasiert waren. Anders als die Ägypter hatten die Libyer eine Stirnlocke und schmückten sich mit Federn im Haar. Die Erwachsenen trugen einen Gürtel, an den sie einen Tierschwanz befestigten, und ein Penis-Futteral. Bemerkenswert ist, daß auch die Frauen Nachahmungen dieser Futterale trugen, was eine heutige Parallele bei manchen südsudanesischen Stämmen hat; und ein Relikt jener fernen Zeit scheint es ebenfalls zu sein, daß im modernen Algerien der Jüngling erst durch das Anlegen des Gürtels zum erwachsenen Mann wird.

Die Masiren und die Alten Griechen
Die Alten Griechen begannen im 7. vorchristlichen Jahrhundert die Küste der Kyrenaika (der Osten des modernen Libyen) zu kolonialisieren. 332 v. Chr. eroberte Alexander der Große Ägypten und drang bis zur Oase Siwa in Westen vor, dem Kultstätte des Zeus Ammon. Dort wurde Alexander von den Priestern als “Sohn des Zeus” empfangen. Heute ist diese Oase eine berbersprachige Insel inmitten des arabischen Ägyptens.
303 v. Chr. erhielt ein Erbe Alexanders namens Ptolemaios die Herrschaft über das Land samt der Kyrenaika. Unter ihm und seinen Nachfolgern stieg das Alte Ägypten zum reichsten Land der damaligen Zeit auf.


Die Masiren und die Punier
Nachhaltiger auf die Masiren wirkte sich die Präsenz der Punier (oder “Phönizier”) aus, die schon vor den Griechen das Mittelmeer beherrschten. Sie kamen dorthin, wo die Masse der Masiren lebte, nämlich in das fruchtbare westliche Nordafrika.
Die Punier waren tüchtige Krieger, Seefahrer und Kaufleute aus der Levante (heute Libanon, Syrien, Israel). Seit dem 12. Jahrhundert v. Chr. errichteten sie zahlreiche Stützpunkte an der nordwestafrikanischen Küste. Ihr Einfluß reichte von Tripolitanien bis jenseits der Straße von Gibraltar. Der bedeutendste Handelsplatz wurde Karthago nahe des heutigen Tunis. Es wurde 814 v. Chr. gegründet.
Den Reichtum der Karthager mußten allerdings Sklavenheere erwirtschaften, die sich aus den Reihen unterjochter Berbervölker rekrutierten. Die Masiren, die sich dem Einfluß der Punier entziehen wollten, hatten sich in das Hinterland zurückgezogen. Von Mal zu Mal überfielen sie die punischen Küstenstädte und kehrten, mit reicher Beute beladen, in das unwegsame Gebirge und in die Sahara zurück.
Die Macht der Punier gründete sich vorrangig auf einen weitreichenden Handel. Dadurch gelangten allmählich punische Kulturtechniken und Handelsgüter wie Gold und Elfenbein in das Hinterland. Die Masiren kannten bereits den Gerste- und Weizenanbau und hielten Rinder, Schafe und Ziegen. Als punisches Erbe kamen der Anbau von Granatapfel, Mandel, Olive, Feige und Walnuß hinzu. Im Zusammenhang damit wurden “moderne” Veredelungs- und Bewässerungstechniken eingeführt. In den heutigen Berbersprachen lassen sich zahlreiche punische Lehnwörter für jene eingeführten Kulturgüter nachzuweisen. Das numidische Alphabet (“Tifinar”, masirisch und bedeutet “die Punische”), das noch heute bei den Tuareg und zunehmend auch bei den übrigen Masiren gebräuchlich ist, wurde dem punischen Alphabet nachgebildet.
Die schärfste Rivalin Karthagos um die Macht im Mittelmeer war das aufstrebende Rom. Es war eine Frage der Zeit, bis die Kontrahenten aufeinanderprallten. Der punische Kriegszug wurde wesentlich erschwert, als in der Hauptstadt Karthago Sklavenaufstände losbrachen. Die Gelegenheit schien den freien Berberstämmen außerhalb der Stadt günstig. Sie überwanden die Befestigungen und drangen in die Stadt ein. Die Karthager mußten starke Truppenteile aus ihren umkämpften Kolonien abziehen, um dieser Bedrohung Herr zu werden. Sie benötigten Jahre dazu. Indes konnten die Römer fast ungehindert wichtige punische Kolonien im Mittelmeer erobern.


Der Masirenkönig Massinissa
Im Jahre 218 v. Chr. überschritt der punische Feldherr Hannibal mit einem imposanten Heer die Pyrenäen und schließlich die Alpen, um dem Römischen Reich von Norden her den Garaus zu machen. In seinem Troß marschierten etliche Krieger aus dem Rif, dem Atlas und der Sahara. Hannibal gelang es beinahe, die Römer zu besiegen. Doch die Römer behielten die Oberhand. Sie konnten es dem Masirenkönig Massinissa verdanken.
Er regierte den Stamm der Missäsylen im Raum der heutigen Städte Sétif, Algier und Oran. Dieses und das umliegende Gebiet hatten die Griechen “Numidien ” genannt. Massinissa hatte in seiner Jugend in der punischen Armee gedient. Er war beeindruckt von den Leistungen der punischen Zivilisation und begann, sie eifrig nachzuahmen. Nach dem Vorbild der punischen Schrift erfand er die “Tifinar”. Er richtete eine geordnete Verwaltung ein, baute eine Flotte und schuf ein stehendes Heer von 50.000 (!) Mann. Er legte Siedlungen nach punischem Stil an und hielt die Nomaden zum Ackerbau an. Um zu verhindern, daß sich die eben seßhaft gewordenen Nomaden wieder verliefen, siedelte er sie nicht auf einzelnen Gehöften an, sondern in befestigten Burgen. Auf diese Weise wurden sie gleich zwangsweise verstädtert.
Massinissa träumte von der Eroberung der Hauptstadt seiner Lehrmeister. 204 v. Chr. schien die Zeit reif, seinen Traum wahrzumachen. Als er davon erfuhr, daß sich Hannibals Kriegsglück dem Ende zuneigte, wandte er sich von den Karthagern ab und wechselte in das Lager der Römer. Die Massylier, die östlichen Nachbarn des Reichs von Massinissa im Raum von Cirta (heute Constantine) und Sugga, hielten dagegen unter ihrem Führer Syphax an ihrem Bündnis mit Karthago fest.
Als die römische Seeflotte in Nordafrika landete, setzte Massinissa sein Heer gegen die Punier in Marsch. 202 v. Chr. in der Entscheidungsschlacht von Zama südwestlich von Karthago sahen sich die bedrängten Punier von Masiren mit Wurflanzen auf schnellen wendigen Pferden umzingelt, Seite an Seite mit schwer gepanzerten römischen Legionären. Die Punier wurden geschlagen. In den darauffolgenden Friedensverhandlungen mußten sie einen Teil ihres an Massinissa abtreten. Das Reich des Syphax wurde ihm ebenfalls zugeschlagen.
Karthago hatte ein halbes Jahrhundert benötigt, um sich wieder zu erholen. Die Angst vor einem neuen Aufstieg veranlaßte die Römer, im Jahre 149 v. Chr. zu Dritten Punischen Krieg aufzurufen. Den Vorwand für diesen Krieg hatte Massinissa geliefert. Er hatte die Punier mit militärischen Übergriffen so lange provoziert, bis sie zurückschlugen und den mit ihm verbündeten Römern auf diesem Weg einen Grund lieferten, einzugreifen. 146 v. Chr. legten die Römer Karthago in Schutt und Asche. Seitdem hat sich die Stadt niemals mehr aufgerichtet. Heute liegen ihre Ruinen als eindrucksvolle Zeugnisse ihrer einstigen Größe auf den Steilufern vor den Toren von Tunis.
148 v. Chr. starb Massinissa. In Thugga (das heutige Dougga in Tunesien) wurde ihm ein Mausoleum errichtet, das eine Inschrift in numidisch und punisch enthält. Es ist die älteste datierte Schrift in numidischen Lettern.
Durch seinen Tod war Massinissa eine bittere Enttäuschung erspart geblieben. Die Römer hatte nämlich nicht vor, ihm seinen heißen Wunsch zu erfüllen und ihm die Kontrolle über Karthago zu überlassen. Die Römer wollten sich selber in Nordafrika festsetzen. Aus Karthago und dessen Hinterland schufen sie die römische Provinz “Africa”. Später sollte der gesamte Kontinent nach dieser Provinz benannt werden.
Das Numiderreich, das im Westen bis an den Fluß Mulucha (arab. “Oued Moulouya”) angrenzte, blieb vor der römischen Besatzung zunächst verschont. Um die Thronfolge Massinissas war aber ein Streit entbrannt. Um die Numidier zu schwächen, nutzten die Römer die Auseinandersetzungen und teilten die Staatsgewalt unter drei der 44 Söhne Massinissas auf; denn Numidien unter einer zentralen Herrschergestalt erschien den Römern als zu gefährlich. Micipsa übernahm die Verwaltung und wurde somit König. Wie sein Vater pflegte er die Freundschaft mit Rom. Gulassa wurde Heerführer, und Mastanabal bekleidete das höchste Richteramt. Nach dem frühen Tod seiner Brüder konnte Micipsa jedoch bald die Herrschaft auf sich vereinigen.


Der Masirenkönig Jughurtha
Als nach dem Tode Micipsas 118 v. Chr. Thronstreitigkeiten zwischen seinen beiden Söhnen deren Vetter Jughurtha, einem Enkel Massinissas, entstanden, intervenierte Rom und befahl die Teilung des Reiches. Jughurtha war wie sein Großvater ehrgeizig und hegte den Traum von einem vereinigten numidischen Großreich. Es kam zu Kämpfen zwischen Jughurtha und seinen Mitkönigen, in deren Verlauf Hiempsal und Adherbal den Tod fanden.
Da bei den Einnahme Cirtas viele Italiker getötet wurden, griff Rom ein. Der “Jughurtinische Krieg” (bis 105 v. Chr.) brach los. Dessen Verlauf hat Sallust ausführlich beschrieben.
Jughurtha unterlag und floh zu seinem Vater Bocchus, dem König von Mauretanien (das heutige Marokko und die Gegend um Oran). Der mit Rom befreundete Bocchus verriet ihn jedoch und lieferte ihn an die Römer aus. Jughurtha wurde in Rom gehenkt.
Obwohl die Römer sich wieder durchgesetzt hatten, ließen sie davon ab, das Land zu annektieren. Statt dessen machten sie es tributpflichtig und teilten es in drei von Rom abhängige Fürstentümer auf. Als Lohn für die Auslieferung Jughurthas erhielt Bocchus den westlichen Teil Numidiens, während Gauda, ein weiterer Vetter Massinissas, den östlichen Teil bekam. Das mittlere Drittel fiel als Pufferstaat an Mastanesosus.
Bocchus Nachfolger setzten die Freundschaftspolitik mit Rom fort. Mauretanien wurde zwischen den beiden Enkeln von Bocchus aufgeteilt: Bogdud II. erhielt den Westen (Marokko) und Bocchus II. den Osten (Algerien).

Der Masirenkönig Juba I.
Numidien wollte aber nicht zur Ruhe kommen. Der Enkel Jughurthas, König Juba I. von Numidien, ertrug es nicht, seines Amtes im Schatten Roms zu walten. 48 v. Chr. begehrte er auf. Die Zeit schien günstig. Die Mächtigen Roms führten einen blutigen Bürgerkrieg. Cäsar und Pompejus stritten um die alleinige Herrschaft im Römischen Reich. Juba I. setzte auf Pompejus und ging mit ihm ein Bündnis ein. Doch Juba I. hatte auf den Falschen gesetzt. Es war Cäsar, der am Ende triumphierte. 46 v. Chr. in der Schlacht von Thasos auf nordafrikanischem Boden brachte er mit tatkräftiger Hilfe von Bocchus II. und Bogud II. den alliierten Truppen von Juba und Pompejus eine vernichtende Niederlage bei. Juba I. konnte fliehen. Um nicht dem rachsüchtigen Cäsar in die Hände zu fallen, beging er später Selbstmord.

Der Masirenkönig Juba II.
Der Nachfolger Cäsars war Augustus. Dieser übergab Juba II., dem Sohn Jubas I., die Verwaltung über Numidien. Seine Regentschaft von Roms Gnaden sollte schon nach vier Jahren zu Ende gehen. Nun wurde auch der Name “Numidien” von der von der Landkarte getilgt. Das Land wurde 48 v. Chr. römische Kolonie und hieß fortan “Africa”.
Von Kaiser Augustus erhielt Bocchus II. das Reich seines Bruders Bogud II. Mauretanien war auf diesem Wege wiedervereinigt worden. Als Bocchus II. 33 v. Chr. kinderlos starb, ließ Augustus das mauretanische Reich durch eine Präfekten verwalten.
Unter Juba II. stellte Augustus 25 v. Chr. das Königtum Mauretanien wieder her. Dort erhielt er die gleiche Erziehung wie junge adlige Römer. Augustus gab ihm Cleopatra Selene, der Tochter von Antonius und Kleopatra, zur Frau.
Während der Herrschaft Jubas II. blühten seine Hauptstädte Caesarea Iol (Cherchell) und Volubilis (nahe des heutigen Zerhoun in Marokko) auf. Mauretanien wurde ein reicher und mächtiger Staat. Juba II. sammelte Manuskripte für seine Bibliothek. Er beschäftigte sich mit Geographie und Naturgeschichte und entsandte eine Forschungsexpedition nach den Kanarischen Inseln, das ehedem von einem masirischen Volk, den Guanchen , bewohnt war. Über seine Forschungen verfaßte er ein Werk in griechischer Sprache, auf das später berühmte antike Wissenschaftler zurückgriffen.
Nach dem Tode Jubas II. 23 n. Chr. bestieg dessen Sohn Ptolemaios den Thron. Der römische Kaiser Caligula hatte Juba II. bei einem Besuch in Lyon umbringen lassen, um sich seines Reiches zu bemächtigen.
42 n. Chr. nach einer Erhebung der Mauren wurde Mauretanien römisch. 46 n. Chr. teilte Kaiser Claudius das Gebiet in zwei kaiserliche Provinzen auf: im Osten Mauretania Caesariensis (Hauptstadt war das heutige Cherchell) und im Westen jenseits des Mulucha Mauretania Tingitana (Hauptstadt war das heutige Tanger). Später schob sich zwischen dem einstigen Numidien und Mauretania Caesariensis noch die Provinz Mauretania Sitifensis (Hauptstadt war das heutige Sétif). Die Kyrenaika war bereits 74 v. Chr. dem Römischen Reich einverleibt worden. zurück
(vgl. Stammbaum der masirischen Herrscher)

Die Masiren und die Alten Römer
Rom hatte nun die Küste Nordafrikas endgültig unter ihre Kontrolle gebracht. Die ungefähre Ausdehnung der afrikanischen Kolonien kann durch noch vorhandene Reste der Grenzbefestigung festgestellt werden. Im Zuge der römischen Durchdringung, die bis in das 7. Jahrhundert andauern sollte, wuchsen Städte, von deren einstiger Pracht noch heute eindrucksvolle Ruinen künden: Leptis Magna in Libyen, in Tunesien das Kolloseum von El Djem, die Bauten von Thuburbo Majus und Dougga, in Algerien Hippo Regius, Tebessa, Timgad und Djemila, in Marokko Volubilis.
Die Römer bauten Straßen, kultivierten die fruchtbare Küstenebene und führten ein Transportmittel ein, das bis dahin in Nordwestafrika unbekannt war und das heute dort zum alltäglichen Bild gehört: das Kamel.
Rom kolonisierte die nordafrikanischen Kolonien mit einer dünnen Schicht von hohen Beamten, Großkaufleuten und Großgrundbesitzern, die in beträchtlichem Wohlstand lebten. Die einheimischen Bauern dagegen verarmten unter der Last der Latifundien und sanken schließlich zum rebellischen Landproletariat ab.
Zum militärischen Schutz und als Polizei stand eine Armee von 5.000 römischen Legionären und 20.000 masirischen Hilfssoldaten zur Verfügung. Die Legionäre dienten 20 Jahre lang in der Armee und siedelten sich danach mit ihren Familien im Umkreis der Truppenplätze an. So entstanden zahlreiche Veteranenkolonien, v. a. in M’Daourouch, Sétif und Djemila. In Notfällen wurden sie bei der Verteidigung der römischen Grenze in Nordafrika eingesetzt.
Die unterworfenen Masiren, soweit sie seßhaft waren und sich nicht in die Tiefen des Kontinents dem Machtanspruch Roms entzogen hatten, konnten nicht umhin, lateinische Lebensart und Sprache anzunehmen, um sich in den Städten zurechtzufinden. Nach und nach setzte sich das römische Erziehungswesen durch. Unterrichtet wurde nach römischen und griechischen Methoden. Cirta und Tebessa waren die berühmtesten lateinischen Schulen. Verbreitet war das Studium von Rhetorik und Poesie, da hier die Masiren Gelegenheit fanden, ihr fabulierlustiges Gemüt auszuleben.
Die einheimische Bevölkerung wurde in deutlich getrennte Klassen geschieden. Auf der niedrigsten Stufe stand die Landbevölkerung. Sie hatte praktisch keinen Zugang zur römischen Zivilisation und verriet sich dadurch, daß sie Tamazight sprachen. Die nächsthöhere Stufe wurde von den lateinisch Sprechenden besetzt. Sie genossen zivile, aber keine politischen Rechte. Damit blieben sie vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Auf der höchsten Stufe standen diejenigen, die durch die Gunst der Statthalter oder Kaiser mit staatlichen Ämter betraut waren.
Der soziale Aufstieg der Städte hing von den Diensten ab, die sie dem Römischen Reich leisteten. Diese Politik führte zu einem Wetteifer der Masiren, sich mit möglichst auffälligen Leistungen einen angesehenen Namen zu machen. Diese wohlhabenden und einflußreichen Masiren, die den Lebensstil ihrer Kolonialherren besonders eifrig nachahmten und nur Lateinisch sprechen wollten, schämten sich ihrer Abstammung – ein Anzeichen für den drohenden Zerfall einer bodenständigen Kultur!
Masirische Reiter wurden gerne beim römischen Heer angeworben. Sie galten als extrem ausdauernd und tollkühn. Überall dort, wo ein Gegner Roms den härtesten Widerstand leistete, wurden sie eingesetzt. An Donau, Rhein und Euphrat gelangten die “maurischen” oder “afrikanischen” Soldaten zu Ruhm und Ehren.
Im Laufe des 1. Jahrhunderts nahm die städtische Bevölkerung Nordafrikas das Christentum an. Die Kirchensprache war lateinisch. Auf diesen Umstand wird es zurückzuführen sein, daß das Christentum in den Sitten und Gebräuchen der freien und einfachen Masiren außerhalb der Städte so wenig Spuren hinterlassen hat
Die Überlegenheit der römischen Kultur war erdrückend. Noch heute benutzen viele Masiren den Julianischen Kalender und lateinische Monatsnamen für ihr landwirtschaftliches Jahr. Tamazight enthält manch eine entlehnte lateinische Vokabel. Der Eindruck, den die Römer in ihren afrikanischen Provinzen hinterließen, hat sich bei den Masiren so tief eingegraben, daß sie noch heute die Europäer gemeinhin als Irumiyen “Römer” bezeichnen.
Allerdings beschränkte sich der politisch-militärische Einfluß Roms auf die küstennahen Gebiete zwischen Tingis und Ad Abilem, Sala und Volubilis. Es war ein Gebiet der fruchtbaren Ebenen. Die Unabhängigkeit der Völker des Atlas, des Rif und der Sahara war hingegen nie ernsthaft gefährdet. Zu Zeiten des römischen Kaisers Marc Aurel hatten die Rif-Bewohner den Dauerkrieg sogar auf die Iberische Halbinsel hinübergetragen.
In der Mitte des 3. Jahrhunderts begann der Niedergang des Römischen Reichs. In den Jahren 242 bis 262 erschütterten Erhebungen in der Kabylei und im Aurès (Algerien) die römische Herrschaft in Nordafrika. Die Verkehrsverbindungen zwischen Tingitana und dem übrigen römischen Afrika waren schwierig geworden, denn die von Karthago ausgehende Militärstraße endete im Westen bei Caesarea. Weiterreisende mußten den Seeweg wählen und stießen erst bei Tingis oder Ad Abilem auf eine sichere Straße. Ende des 3. Jahrhunderts umfaßte Tingitana nur noch ein winziges Gebiet um Tanger. Die wichtigsten Siedlungskolonien waren auf das Küstengebiet gegenüber von Gibraltar begrenzt.
Der Rebellenführer Takfarinas
Die jahrhundertelange Vorherrschaft Roms über Nordafrika war von Anfang an nicht unangefochten. In den Jahren 17 bis 24 scharte der Masire Takfarinas, ein desertierter römischer Soldat, eine Armee um sich und erhob sich gegen die Fremdherrschaft. Der Sohn Jubas II., Ptolemaios, half den Römern, den Aufstand niederzuschlagen. Doch Takfarinas hatte es immerhin verstanden, die Truppen den Weltmacht sieben Jahre lang von Tripolitanien bis Marokko in Schach zu halten.
Masiren führen das Römische Reich
193 gelang es dem Masiren Septimus Severus, den römischen Kaiserthron zu erklimmen. Er stammt aus den Reihen masirischer Soldaten. Septimus Severus, der wegen seines starken masirischen Akzents heimlich verspottet wurde, war nicht nur ein eiserner Krieger, sondern reformierte das römische Rechts- und Verkehrswesen und trieb überall im Reich den Städtebau erfolgreich voran.
Dessen Sohn und Nachfolger Caracalla war wie sein Vater dafür bekannt, daß er sich am Hofe ausschließlich mit Landsleuten umgab. Sie vertrauten sonst niemandem und verachteten die Prunk- und Privilegiensucht des römischen Adels. Allerdings war niemand von ihnen selbstbewußt genug, in der Öffentlichkeit als Masire aufzutreten.
Caracalla starb 217 durch die Hand eines gedungenen Mörders. Der Auftraggeber war ebenfalls ein “Mauri” und hieß Macrinus. Dieser ließ sich daraufhin zum römischen Kaiser ausrufen. Seine Amtszeit währte nur kurze Zeit, nachdem auch er gemeuchelt wurde. Mit ihm verschwanden die Masiren wieder aus dem Zentrum der römischen Macht.
Ein Zeitgenosse von Septimus Severus war der berühmte Masire Tertullian, einer der bedeutendsten Schriftsteller und Theologen seiner Zeit.
Im Jahre 360 kam Tagaste (heute Algerien) ein Masire zur Welt, der sich tief in das Bewußtsein der Nachwelt einprägen sollte: der “Kirchenvater” Augustinus. Seine philosophischen Schriften erregten bereits zu seinen Lebzeiten ungeheures Aufsehen.
Die Masiren und die Alten Germanen
Als Augustinus 430 starb, stand das Imperium Romanum kurz vor seinem Zusammenbruch. Germanische Horden plünderten die Hauptstadt. Der wüste Germanenstamm schickte sich an, mit 80.000 Mann von Gadira (Cadiz) aus nach Nordafrika überzusetzen. Sie waren in ihrer Urheimat zwischen Warthe und Oder (heute Polen) dem Druck der Hunnen ausgewichen und hatten 406 den Rhein überschritten. Sie hatten Gallien durchquert und waren 409 in Spanien eingefallen. Dort gerieten sie unter den Druck der Westgoten und zogen südwärts. Seitdem heißt der Süden Spaniens “Andalusien” (von ursprünglich “Vandalusien”). Im Mai 429 landeten sie in Nordafrika an einem Ort unweit des heutigen Algier. Sie vernichteten die Römer und zogen brandschatzend Richtung Westen durch die blühenden Landschaften der nordafrikanischen Küste.
439 gründeten die Vandalen unter ihrem Führer Geiserich ein germanisches Reich mit Karthago als Residenz, in dessen Umkreis sie sich niederließen.
455 eroberten die Vandalen von Nordafrika aus Sardinien, Korsika und Sizilien und plünderten Rom. Doch nach dem Tode Geiserichs 477 gerieten die Vandalen zunehmend in Schwierigkeiten. Die katholische Bevölkerung in den Städten war den arianischen Vandalen von Anfang an feindlich gesonnen. Als eine Hungersnot über das Land hereinbrach, erhob sich die Bevölkerung endlich. Zur gleichen Zeit führten Masiren aus dem Aurès vernichtende Kriegszüge gegen das Vandalenreich.
Der Einfall der Barbaren hatte das Römische Reich erschüttert. Es wurde in eine weströmische und eine oströmische Hälfte aufgeteilt. In Nordafrika verlief die Trennlinie entlang der Grenze zwischen Tripolitanien und der Kyrenaika. Der weströmische Teil samt der Stadt Rom war den Barbaren anheimgefallen.
Justinian, Kaiser der Oströmer (später “Byzantiner”), entsandte 534 seinen berühmten Feldherrn Belisar nach Afrika, um dort die römische Herrschaft wieder herzustellen. Er bereitete den Vandalen den Untergang.
Karthago wurde wieder von den Römern kontrolliert, doch im Westen war bis auf Tingis (heute Tanger), Septa (heute Ceuta) und einen schmalen Küstenstreifen um Caesarea (Cherchell) Mauretanien für die Römer endgültig verlorengegangen.
Nach der Vertreibung der Vandalen war die römische Macht in Nordafrika wieder präsent. Doch die Macht der Byzantiner war längst nicht so gefestigt wie zu Zeiten der Alten Römer. In den umliegenden Gebieten Karthagos waren masirische Stämme eingebrochen, und der Tag schien absehbar, an dem die Masiren ihre Urheimat zur Gänze zurückerobern würden.


Fortsetzung: Die Ankunft der Araber


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Re: Die Geschichte der Masiren #25200
01/03/02 12:35 PM
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Die Geschichte der Masiren
(Teil 2: Die Ankunft der Araber)
Taziri 1/97, S. 27-34


Über Nordafrika im Mittelalter ist viel geschrieben worden. Die meisten Geschichtsschreiber haben allerdings die Volksgruppe der Araber in den Mittelpunkt ihrer Chroniken gestellt; die Masiren - für sich gesehen - finden allenfalls als Randerscheinung Erwähnung.
Im nachfolgenden wird diese Betrachtungsweise umgekehrt. Das heißt, daß speziell die Rolle der Masiren in jener Zeit dargestellt und entsprechend gewürdigt werden soll. Insbesondere gilt es klarzustellen, daß das goldene Zeitalter des Islams in Marokko und Spanien keineswegs alleine das Werk von Arabern war, sondern gerade die Masiren dabei eine herausragende Rolle gespielt haben.

1. UQBA IBN NAFI
2. Kusayla
3. Dihia
4. Die Kharidschiten
5. Die Berghawata
6. Eroberung Spaniens
7. Verrat am Islam
8. Aufbegehren der Masiren
9. Andalusien - Zentrum der Welt
10. Ende der Omaiyaden in Spanien
11.Die Beni Hilal und Beni Sulaym

Die Ankunft der Araber unter UQBA IBN NAFI
Im Jahre 647 unternahmen die Araber einen Feldzug nach dem Westen und besiegten die Byzantiner, die sich bis dahin an der Küste Nordafrikas festgesetzt hatten. Die Gründung der Stadt Qayrawan in Zentraltunesien unter ihrem Feldherrn OUQBA IBN NAFIO im Jahre 670 sicherte den Arabern eine dauernde Operationsbasis in Nordafrika. Von dort aus trieb OUQBA seine Krieger im Namen des Islams quer durch den Maghreb; er erreichte Tanger und stieß bis Zentral-Marokko vor, nach dem Wad Sus, wo er sich mit den dort ansässigen Masiren heftige Gefechte lieferte.
Entgegen der Legende hatte OUQBA bei dieser Unternehmung den Maghreb nicht mit einem Mal unterworfen, sondern sich auf Expeditionen beschränkt, die mehr den Charakter ausgedehnter Streifzüge behielten als den einer systematischen Eroberung.
Zur Zeit der Ankunft der Araber unterschied man bei den Masiren zwei Hauptgruppen: die Zenata und die Sanhadja. Jede dieser Gruppen bestand aus vielen selbständigen, voneinander unabhängigen Stämmen und Unterteilungen.
Die Zenata waren vor allem Nomaden. Sie züchteten Kamele und lebten in Zelten. Einzelne Gruppen von ihnen bevölkerten die Steppen, Oasen und Halbwüsten im südlichen Maghreb von Tripolitanien im heutigen Libyen bis nach Marokko.
Die Sanhadja unterschieden sich von den Zenata sowohl durch ihre Sprache als auch durch ihre Lebensweise. Die meisten von ihnen waren seßhaft und beschäftigten sich mit Ackerbau. Am bekanntesten waren von ihnen drei Gruppen: die Masmuda, die im heutigen Marokko lebten, die Ketama in Kleinkabylien (Algerien) und die eigentlichen Sanhadja in der Marokkanischen Sahara.
In kultureller Beziehung nahmen die Masmuda eine Sonderstellung ein. Sie perfektionierten den Anbau von Obst-, Nuß- und Mandelbäumen sowie des Arganbaums, aus dessen Früchten sie Öl gewannen. Für ihre Juwelier- und Schmiedekunst waren sie berühmt weit über die Grenzen der Tamezgha hinaus. Zurück

KUSAYLA
Während bei Auseinandersetzungen in asiatischen Ländern oft eine Entscheidungsschlacht den Ausschlag gab, wogte in der Tamezgha der Kampf über mehr als ein Jahrhundert hin und her.
Zum Zentrum des Widerstandes gegen die Araber wurden zunächst die Berge des Aurès, wo die Zenata-Stämme der Awraba und der Gerawa wohnten. Der Führer dieser Stämme war KUSAYLA. Sein Machtbereich reichte bis weit hinter Tlemcen im heutigen Westalgerien.
Im Jahre 674 waren die Awraba von den Arabern besiegt worden und daraufhin zum Islam übergetreten. Der Statthalter in Ägypten, dem zu dieser Zeit ganz Nordafrika unterstand, hatte UQBA zwischenzeitlich durch den freigelassenen Sklaven DINAR abgelöst. Dieser warf den bisher so erfolgreichen Heerführer UQBA in Fesseln.
...
682 setzte der Kalif DINAR ab und UQBA wieder ein; ... UQBA behielt den einflußreichen Masirenkönig in seinem Lager in Gewahrsam. KUSAYLA ertrug die Erniedrigungen nicht und sann auf Rache.
Nachdem UQBA im Jahre 682 den Versuch unternahm, Marokko und Algerien endgültig niederzuwerfen, beging er auf dem Rückmarsch von seinem Feldzug den Fehler, seine Armee zu teilen. KUSAYLA, der UQBA wie eine Trophäe begleitete, verständigte sich mit seinen Stammesbrüdern und führte in der Nähe von Biskra einen Überfall an, bei dem fast alle Araber, darunter UQBA, umkamen. KUSAYLA erstürmte daraufhin Qayrawan und gründete um diese Stadt ein unabhängiges Königreich. Die Araber mußten nahezu alle eroberten Gebiete bis auf die Cyrenaika (Ost-Libyen) aufgeben. ...
Doch KUSAYLA leitete nur einen lockeren Bund der Stämme, unter denen manche Gruppen aus Feindschaft gegen die Awraba bereits den Arabern zuneigten. In Karthago und dem umliegenden Land waren zudem die Byzantiner zurückgekehrt und bemühten sich, die Macht KUSAYLAS zu untergraben.
689 waren die Araber erneut in der Lage, mit bewaffneter Macht in der Tamezgha zu erscheinen. Sie boten eine überlegene Armee gegen Qayrawan auf, das von KUSAYLA kampflos geräumt wurde. Er verschanzte sich in Mimmisch, ca. 50 km westlich von Qayrawan. Nur die Aufgebote der seßhaften Masiren aus dem Westaurès hielten noch zu ihm. Die halbnomadischen und nomadischen Masiren aus dem Ostaurès waren zuvor abgefallen und hatten sich zum Teil sogar den Arabern angeschlossen. In der Schlacht fiel KUSAYLA; seine Krieger mußten in das Gebirge fliehen. Zurück

DIHIA
In Arabien war derweil ein Bürgerkrieg ausgebrochen, so daß die Westarmee zurückgerufen werden mußte. Nachdem der Bürgerkrieg entschieden war, wurde der Syrer HASSAN IBN NUMAN AL GHASSANI Gouverneur von Ifriqiya, wie das heutige Tunesien damals hieß. HASSAN drang mit seinen Truppen nach Westen vor und traf auf heftige Gegenwehr; wieder waren es Masiren aus dem Aurès, die den Arabern entgegentraten.
Dieses Mal wurden die Masiren ... von einer Frau angeführt. Über den richtigen Namen dieser Frau wird heute noch gerätselt. Einmal wird sie als "DAMIA" erwähnt, einmal als "DIHIA" und ein anderes Mal als "DIMIA".
Bei den Masiren im Rif ist die sagenumwobene "LALLA BUYA" wahrscheinlich mit ihr identisch. Der in den meisten Volksliedern des Rifs immer wiederkehrende Refrain "A yara n Lalla Buya - oh ihr Kinder unserer Herrin Buya" soll dieser Frau und ihren Söhnen gewidmet sein.
DIHIA wurden hellseherische Fähigkeiten nachgesagt. Von den Arabern wurde sie deshalb "KAHINA" (Zauberin) genannt. Unter ihrer Herrschaft erreichte der masirische Widerstand seinen Höhepunkt. Sie mußte eine begabte und mitreißende Rednerin gewesen sein, denn sie vermochte es, nach der Niederlage KUSAYLAS Trümmer seiner Armee an sich zu ziehen und ihrerseits einen Stammesverband aufzubauen, mit dessen Aufgeboten sie der Armee des HASSAN entgegentrat. Am Fluß Nini bei Meskiana nördlich des Aurès hatten die Angreifer ein Lager angelegt, das von den Masiren erstürmt wurde. Dann ging DIHIA dazu über, das Land selbst zu verwüsten, um mit dieser Strategie der "verbrannten Erde" den Arabern jede Lust zu nehmen, Nordafrika in Besitz zu nehmen. Dadurch aber entfremdete sie sich jene Masiren, die nicht Nomaden waren. Als im Jahre 699 HASSAN mit frischen Truppen heranzog, nahmen ihn viele Bauern und Städter als Befreier auf.
Mit militärischen Mitteln alleine schienen die Masiren jedoch unbezwingbar. Sie sollten vielmehr einer Kriegslist zum Opfer fallen: DIHIA hatte einen arabischen Gefangenen namens KHALID als Sohn angenommen. Dieser KHALID fügte sich nur zum Schein in die Familie der DIHIA ein. Heimlich empfing er Kundschafter des arabischen Heeres. Ihnen teilte er genau mit, auf welchen Schleichwegen sie zum Hauptquartier der Königin vordringen und jedem Hinterhalt ausweichen konnten. Jetzt erst wagten die Araber den Angriff. Ohne die Unterstützung der Bauern und Städter und durch die proarabischen Stämme des Südens von einem Zuzug Gleichgesinnter abgeschnitten, wurde DIHIA in der Schlacht bei Tabarqa im Jahre 700 besiegt und mußte in den Aurès flüchten. An dem "Bir al-Kahina" genannten Ort wurde die Königin tot mit einem Schwert in der Hand gefunden.
Als der Sieger HASSAN im Jahre 703 nach Syrien zurückkehrte, war der Maghreb endlich zur Gänze islamisch geworden. Von nun an sollten sich die Rebellionen der Masiren wie auch ihre Zerschlagung nur noch im Namen des Islams vollziehen. Zurück

Die Häresie der Kharidschiten
Die Tamezgha war nunmehr ein Teil des Kalifats, einem theokratischen Feudalstaat, der sich von Marokko bis nach Mittelasien erstreckte und dessen Hauptstadt zuerst Damaskus und später Bagdad war. Die Führer dieses Riesenreiches waren die Kalifen.
In der Tamezgha jedoch reizten die Statthalter der Kalifen das Volk durch Willkürakte und schwere Steuern. In den Jahren 739/40 gingen die Stämme der Miknasa, Ghomara und Berghwata schließlich in den offenen Aufstand über. Die Nomaden, bei denen sich die militärische Stammesorganisation noch erhalten hatte, waren die Hauptkampfkraft des Aufstandes. Ihre Ideologie war hauptsächlich eine islamische "Häresie": der Kharidschismus.
Die Kharidschiten predigten die Vermögens- und Klassengleichheit und riefen zu einem einfachen, strengen, asketischen Leben.
Im 8. Jahrhundert ergriff die Bewegung die Stämme des Ost-Maghrebs, hauptsächlich die Zenata, aber auch die Bergbauern des Westens. Sie lieferten den Regierungstruppen schwere Kämpfe, vernichteten mehrere Armeen und konnten erst 742 vor den Mauern Qayrawans zerschlagen werden.
Im Dschebel Nefusa im heutigen lybisch-tunesischen Grenzgebiet sammelte der Führer der Ibaditen, eines Zweiges der Kharidschiten, ABU AL KHATTAB, eine Armee und eroberte Tripolitanien und Südtunesien. Im erstürmten Qayrawan wurde 758 als ihr Gouverneur der Perser ABD AR RAHMAN IBN RUSTAM eingesetzt. Zwei aus Ägypten heranziehende Armeen wurden vernichtet. Erst 761 konnte eine überlegene Regierungsstreitmacht die Masiren in die Berge vertreiben. IBN RUSTAM entkam und organisierte in Tahert bei Tiaret ein eigenes Imamat der Ibaditen (776-778).
Im Gebiet von Tlemcen entstand unter dem Masiren ABU QORRA ein kampfkräftiger Kharidschitenstaat, dessen Scharen 771 erneut Qayrawan einnahmen. Im darauffolgenden Jahr aber erlagen sie in Tripolitanien der Übermacht der Regierungstruppen.
Das Imamat von Tahert jedoch konnte seine Unabhängigkeit wahren. Seine Hauptstadt war ein Zentrum für Handel und Handwerk sowie ein Zentrum der Islamisierung der Zenata-Masiren. Der Staat hatte eine theokratische Verfassung, die sich ausschließlich auf den Koran berief. Ihre gewählten Führer, die Imame, lebten wie Asketen und regierten zugleich mit harter Hand.
Die rigorosen Forderungen kharidschitischer Moral beherrschten das Leben der Gemeinde. Reichtum war verpönt, jeder hatte bescheiden zu leben und mußte eine hohe Steuer für die Armen bezahlen. Im Unterschied zu den anderen Kharidschiten predigten die Ibaditen aber keinen "Heiligen Krieg" gegen die weniger gläubigen Muslime, ja sie verabscheuten überhaupt die Gewalt und griffen nur im äußersten Notfall zu den Waffen.
Der 757 in der Oasengruppe des Tafilalet in Zentralmarokko gegründete reiche Kaufmannsstaat der Kharidschiten mit dem Zentrum Sidjilmasa (heute Rissani), der sich auf die Miknasa-Masiren stützte, konnte sich bis ins 14. Jahrhundert gegen alle Eroberer wehren.
Ein weiterer kharidschitischer Staat hatte sich im jetzigen Tunesien und Ostalgerien unter den Aghlabiden gebildet. Die Aghlabiden unterwarfen auch Sizilien und hatten in ihrem Stammland die Landwirtschaft durch umfangreiche Bewässerung, hauptsächlich auf den Ruinen alter römischer Anlagen gefördert. Unter ihnen scheint die Arabisierung weit vorangeschritten, andererseits aber auch mancher Einfluß aus den anderen mediterranen Kulturen nach Nordafrika zurückgekehrt zu sein. Der Aghlabiden-Staat endete im Jahr 909.
Im selben Jahr vertrieben die schiitischen Fatimiden, die sich auf die Ketama-Masiren stützten, die friedfertigen Frommen aus Tahert. Das neue Reich der Fatimiden, wieder mit arabischer Führungsschicht, aber masirischer Bevölkerung, umfaßte nun nicht nur den ehemaligen Aghlabidenstaat, sondern auch die Fürstentümer von Taher und Sidjilmasa.
Unter Strapazen erreichten die Flüchtlinge aus Tahert die Oase Ouargla in Zentralalgerien. Inmitten der Einöde gruben sie Brunnen und trotzten der unbarmherzigen Wüste eine blühende Landschaft ab. Etwa 150 Jahre später eroberten sunnitische Muslime die Hauptstadt Sedrata, zerstörten sie, fällten die Palmen, schütteten die Brunnen zu und verjagten die Bewohner. Dieses Mal zogen die flüchtenden Familien in die karge Steppen- und Wüstenlandschaft des Mzab.
Dort lebte der Nomadenstamm der Ayt Mzab. Abermals gelang es den Flüchtlingen, inmitten von ausgedörrter, steinharter Erde und kahlen Hügeln eine Gartenlandschaft hevorzuzaubern. Fünf Städte entstanden am Rand der Felder und Palmenhaine. Dort blieben die Kharidschiten endlich unbehelligt. Sie, die sich bald nach der sie umgebenden Landschaft "Mozabiten" nannten, begannen ihre Siedlungen zu bauen, die bis heute unzerstört erhalten sind und in denen sich das Leben seit Jahrhunderten kaum verändert hat.
Überall, wo heute Mozabite¥ leben, fallen sie durch ihren Arbeitseifer auf. Arbeit erscheint ihnen als das ideale Mittel, um Körper und Geist von sündhaften Gedanken abzulenken. Für die Mozabiten ist es undenkbar, eine sunnitische oder schiitische Frau zu heiraten. Mozabiten möchten "rein" bleiben, so wie sie es verstehen. Es könnte daher immer noch gelten, was der bedeutende Historiker IBN KHALDUN im 14. Jahrhundert festgestellt hat: daß die Mozabiten reine Zenata-Masiren sind, die unbeirrt an ihrer Sprache, dem Tamzabit, festhalten. Zurück

Die Häresie der Berghwata
Unter den Berghwata-Masiren im westlichen Marokko entwickelte sich um 744 eine seltsame Version des Islams. Ein Fürst namens YUNUS lehrte eine Religion, die angeblich schon von seinem Großvater SALIH BEN TARIF her stammte. SALIH BEN TARIF verfaßte einen "Koran" in masirischer Sprache mit 80 "Suren" gegenüber den 144 des echten Korans.
Diebe, die ihre Untat eingestanden hatten oder durch Zeugen überführt waren, erhielten die Todesstrafe. Unzucht wurde mit Steinigung bestraft. Verleumder wurden des Landes verwiesen. Auf Mord stand ein Blutgeld von 100 Stück Vieh. Es war verboten, Köpfe von Tieren zu essen, ebenso Fische, soweit sie nicht rituell geschlachtet waren, sowie Eier. Der Genuß von Hahnenfleisch war verboten, weil dieses Tier zum Gebet rief.
Bei den Häretikern aus Westmarokko haben wohl Elemente des Heidentums eine Rolle gespielt, zum Beispiel bestimmte Speisegebote (Eier, Hähne), Hochschätzung des Speichels als Arznei (wie bei algerischen Marabuts), die Rolle von Frauen, das Verbot, Kusinen bis zum dritten Grad zu ehelichen usw.
Die häretischen Berghwata hielten sich immerhin rund 300 Jahre in ihren abgeschlossenen Bergnestern, bis sie in der Mitte des 12. Jahrhunderts von einer anderen masirischen Macht ausgelöscht wurden. Was sich von den Ursprüngen des Islams derart weit entfernt hatte, konnte nicht von Bestand sein. Hinzu kommt, daß es sich bei der berghwatischen Religion um eine höchst puritanische Richtung gehandelt hat, die auf die Dauer ziemlich unbequem gewesen sein muß. Zurück

Ein Masire erobert Spanien für den Islam
Im Jahr 710 setzten erstmals muslimische Krieger nach Spanien über, plünderten die Hafenstadt Julia Traducta und verschwanden mit der Beute wieder; sie waren gekommen, um die Lage zu erkunden. Der Anführer des verwegenen Kundschaftertrupps hieß TARIF IBN MALLUK und hat der später hier gegründeten Stadt ihren Namen "Tarifa" gegeben. Dieser Muslimführer auf spanischem Boden war ein Masire.
Ein Jahr später landete vor Gibraltar der Feldherr TARIQ IBN ZIYAD IBN ABDALLAH, um von hier aus Spanien dem Islam zu unterwerfen. Er gab der Felseninsel ihren Namen: "Djebel TARIQ" ("Berg des TARIQ"), woraus im Laufe der Jahrhunderte "Gibraltar" wurde. TARIQ war ebenfalls ein Masire. Er stammte aus dem Nafza-Stamm der Zenata-Gruppe. Die Eroberung Spaniens bleibt also unlösbar mit den Masiren verknüpft.
TARIQ war ursprünglich nur ein Diener des Emirs MUSA IBN NUSAYR gewesen, er hatte in der Armee der Masirenkönigin DIHIA als junger Unterführer gedient und war nach ihrer Niederlage in Gefangenschaft gekommen. Im Heerlager von Qayrawan war er dann zum Islam übergetreten und hatte als Waffensklave Reitertrupps seines Stammes gegen aufständische Bergvölker geführt. MUSA hatte ihn schließlich auf seine Eroberungszüge nach Algerien und Marokko mitgenommen, und von dort war TARIQ als freier Mann und General zurückgekehrt. Zuletzt hatte ihn der Emir sogar zum Gouverneur von Tingis (Tanger) ernannt.
Im April des Jahres 711 sammelte TARIQ seine Truppen an der nordafrikanischen Küste zwischen den stark befestigten Städten Tanger und Ceuta. Der christliche Statthalter der Stadt Ceuta Graf YULIAN war schon seit langem mit dem spanischen König zerstritten und hatte sich den Glaubenskriegern als Bundesgenosse angeboten. Die Masiren bestiegen seine Schiffe und landeten bald in der Bucht von Algeciras; er zog sich über die schmale Landenge auf die Halbinsel von Gibraltar zurück und wartete auf Verstärkung. Die Schiffe des Grafen YULIAN kehrten mehrmals wieder und luden immer neue Truppen an Land. Nach heutigen Schätzungen müssen es etwa 20.000 Mann gewesen ein, überwiegend Masiren.
Anfang Mai brach der kilometerlange Heereszug ins Landesinnere auf. Am 29. Juli trafen die Heere in der Ebene von Jerez de la Frontera aufeinander. Die Westgoten, die bis dahin die iberische Halbinsel beherrschten, hatten 40.000 Mann zur Verfügung. Damit übertrafen sie die Masiren immer noch um das Doppelte an Kriegern. König RODERICH, der Führer der Westgoten, im Purpurmantel auf einem erhöhten Streitwagen stehend und für alle weithin sichtbar, mochte beim Anblick der herannahenden Masiren keinesfalls an seinem Sieg gezweifelt haben. Gar zu verwundbar sahen die Angreifer aus, die in den Händen nichts als den Bogen trugen, an der Seite einen gefüllten Köcher hatten und auf dem Rücken den Krummsäbel, den sie erst zückten, nachdem sie auf den Gegner einen Hagel von Pfeilen hatten losprasseln lassen. Die Goten trugen eiserne Panzer, eiserne Helme, schwere Schwerter und zur Abwehr der Pfeile große Schilde. Doch sie mußten mit Schrecken erkennen, daß sie mit ihren massiven Schutzpanzern den leichtbekleideten Kriegern aus Nordafrika unterlegen waren. Die Invasoren fegten wie ein Wirbelwind in die starre Phalanx der eisengepanzerten Krieger und teilten in einer Wendigkeit ihre Krummsäbelhiebe aus, die unheimlich anmutete. Mochten auch die ersten unter den wuchtigen Schwerthieben der Goten niederstürzen, so folgten ihnen doch neue Angreifer, sie konnten rascher ausweichen, zustoßen, zurückweichen und wieder zustoßen; vor allem ermüdeten sie nicht so rasch.
Nicht zuletzt war es der religiöse Eifer, der die Angreifer mit Todesverachtung vorwärts stürmen ließ. "Allahu Akbar!" "Gott ist am größten!" Die Glaubenskämpfer hörten nicht auf, den erschrockenen Verteidigern diesen Ruf entgegenzubrüllen, es war ein Orkan von 20.000 Stimmen, denen an Begeisterung und Fanatismus die 40.000 Goten nichts entgegenzusetzen hatten. Am Abend war die Schlacht entschieden. Massenhaft preschten gotische Krieger davon, nicht wenige wurden von ihren Verfolgern eingeholt und erschlagen; RODERICH selbst fiel in dieser denkwürdigen Schlacht. Wieder hatten islamische Glaubenskämpfer eine Schlacht von welthistorischer Bedeutung gewonnen - diesmal aber waren die Sieger nicht Araber, sondern Masiren.
Hartnäckig verfolgte TARIQ die versprengten Einheiten der geschlagenen Armee und rückte so rasch in Richtung Cordoba vor, das damals schon eine der berühmtesten Städte Spaniens war. Es dauerte nicht lange, bis das Land erobert war und die grüne Fahne des Propheten (a. s. s.) über den Kirchen wehte.
In Spanien hatten die christlichen Fürsten das einfache Volk durch erbarmungslose Steuerforderungen immer ärmer gemacht, während sie selbst im Luxus praßten. Die Bischöfe gaben zu dem Gebaren der Adeligen ihren Segen und schöpften ihrerseits einen Teil der Steuern ab; die Kirche verfolgte mit grausamer Härte alle Andersgläubigen, auch Sektierer in den eigenen Reihen, und ließ sie hinrichten. TARIQ dagegen versprach den Besiegten Gerechtigkeit; er hatte verkünden lassen, der Islam bringe endlich den langersehnten Frieden für alle, für hoch und niedrig, für reich und arm. Dieser Aufruf eilte den Eroberern voraus und machte rasch die Runde auf den Marktplätzen, in den Handelskontoren und Handwerksstuben.
MUSA, der einst halb Algerien und Marokko erobert hatte, war in erster Linie ehrgeizig. Er selbst wollte als der Bezwinger Spaniens gelten. Nun aber sollte sein ehemaliger Diener in die Geschichte eingehen.
TARIQ befand sich mit seinen Truppen schon unmittelbar vor Cordoba, als ihm ein Bote des Emirs den Befehl überbrachte: den Vormarsch stoppen und auf weitere Truppenverstärkungen warten! TARIQ war ratlos, denn er begriff, was das praktisch bedeutete. Der Emir würde in Nordafrika ein eigenes Heer aufstellen. Kostbare Zeit würde verstreichen, währenddessen die geschlagenen Goten wieder eine neue Armee in dem noch unbesiegten Norden ausgerüstet hätten. TARIQ befand sich in einem schrecklichen Zwiespalt: Folgte er dem Befehl seines Herrn, dann würde Spanien noch Jahrzehnte ein heißumkämpftes Kriegsgebiet sein: widersetzte er sich, dann beschwor er die Rache des Emirs herauf.
TARIQ entschied sich nach langen Beratungen mit seinen Getreuen für den Weitermarsch und damit für die rasche Eroberung Spaniens. Wochen später stürmten die Masiren Cordoba. Monate später lagerte TARIQ mit seinem Heer bereits vor den Mauern von Toledo, der Hauptstadt des Westgotenreichs im Herzen Spaniens. Einheimische Bauern strömten massenweise den Eroberern zu. Im Oktober des Jahres 711 konnte TARIQ in Toledo einziehen. Jetzt waren die wichtigsten Städte Spaniens erobert; die zersprengte Gotenarmee würde sich nicht mehr erholen können.
Mit einem Heer von 8.000 Fußsoldaten und 10.000 Reitern landete MUSA daraufhin in Südspanien. TARIQ, der bereits mit seinen Truppen weiter nach Norden hatte ziehen wollen, verzichtete auf seinen Abmarsch und erwartete seinen Herrn in Toledo. Nicht die Angst vor der verletzten Eitelkeit eines Emirs bewog ihn, in Toledo zu bleiben, sondern Vorsicht. Falls es zum offenen Kampf mit seinen Rivalen kommen sollte, dann konnte er sich hinter den schützenden Mauern der hoch auf einem Felshügel liegenden Stadt besser verteidigen.
MUSA war entschlossen, nur dann vor seinen ehemaligen Diener zu treten, wenn eine der berühmtesten Städte Spaniens erobert war: Sevilla. In Eilmärschen zog er mit seinem Heer vor die stark befestigten Mauern. Aber wider Erwarten leistete der gotische Stadtkommandant heftigen Widerstand, so daß sich die Belagerung über Wochen hinzog. Der Emir schäumte vor Wut; die Chance war dahin, in einem ebenso raschen Siegeszug durch Spanien zu jagen wie sein Rivale.
Westlich von Toledo traten sich MUSA und TARIQ gegenüber. Aber unterwürfig zeigte sich TARIQ nicht, auch nicht schuldbewußt, im Gegenteil, er erfüllte nur die nötigsten Höflichkeitsformen und gab sich im übrigen als selbstbewußter Sieger. MUSA hatte Mühe, seinen Groll auf den ehemaligen Sklaven zu verbergen, der ihn so frei von Angst begrüßte. Doch wagte es der Emir nicht, seine Wut zu zeigen, denn das Treffen fand vor dem waffenstarrenden Spalier tausender Soldaten statt. Keinesfalls durfte ein gewöhnlicher Soldat merken, daß sich seine Führer nicht einig waren. Außerdem hatte der Erfolg TARIQS recht gegeben, so daß es lächerlich gewesen wäre, ihm Ungehorsam vorzuwerfen. Seite an Seite ritten die Feldherren scheinbar einträchtig in Toledo ein.
Die trügerische Eintracht hielt kaum einen Tag, dann folgte die Explosion in bestürzender Heftigkeit. In seiner maßlosen Eifersucht entzog der Emir TARIQ den Oberbefehl über dessen Truppen und warf ihn ins Gefängnis. Die Folgen waren verheerend. Mit einem Mal standen sich das Masiren- und das Araberheer feindselig gegenüber.
In Windeseile verbreitete sich die Nachricht von TARIQS Demütigung. Die besiegten Goten faßten neuen Mut, und schon flammten in einigen eroberten Städten Aufstände auf, besonders schlimm in Sevilla, wo die Goten die arabische Besetzung innerhalb eines einzigen Tages erschlugen. Der Emir mußte entdecken, daß sein Heer zu schwach war, gegen die Rebellion vorzugehen, denn die Masiren verweigerten mit einem Mal dem arabischen Oberbefehlshaber die Gefolgschaft. Der Emir hatte keine andere Wahl, als TARIQ aus dem Gefängnis zu holen. Während der folgenden Wochen rückten die Muslime vereint gegen die aufständischen Städte vor, die Rebellionen wurden niedergeschlagen. Dann war es mit der Gemeinschaft schon wieder vorbei; jeder der Rivalen ging getrennte Wege. Nachdem die Winterregen des Jahres 714 nachgelassen hatten, brach MUSA mit einem Heer nach Nordosten auf, TARIQ nach Norden. Feindschaft und Haß waren zwischen ihnen kaum geringer geworden, jetzt aber verbrauchten sie die zerstörerischen Energien im gemeinsamen Kampf gegen die letzten versprengten gotischen Truppen . Die Verbreitung des Islams mußte absoluten Vorrang vor ihren persönlichen Spannungen haben. Schon sieben oder acht Jahre nach der Landung in Spanien überschritten Masiren und Araber die Pyrenäen und setzten ihren Vormarsch nordwärts fort. Erst genau ein Jahrhundert nach dem Tode des Propheten (a. s. s.) fand dieses weite Ausgreifen bei Tours und Poitiers im Herzen Frankreichs ein Ende.
TARIQ und MUSA reisten nach Damaskus, um den Kalifen als Schiedsrichter anzurufen. Kalif WALID I. hatte schon die längste Zeit seinen Statthalter in Qayrawan mit Mißtrauen beobachtet; er fand ihn zu machtgierig und ehrgeizig. Der Kalif belohnte den Masiren TARIQ mit kostbaren Geschenken, den arabischen Rivalen aber schickte er in Verbannung. MUSA starb ein Jahr nach dieser Demütigung. TARIQ reiste eilig aus Damaskus ab und verschwand für immer. Keine Chronik berichtet über sein Ende und niemand weiß, wohin er sich begeben hat. Zurück

Verrat an den Idealen des Islams
In den folgenden Jahrhunderten sollte es immer wieder zu Konflikten zwischen Masiren und Arabern kommen, und nicht selten stand am Ende ein blutiger Bürgerkrieg mit Tausenden von Toten. Schlimmer noch: Das islamische Spanien sollte durch diese Rivalität schließlich so geschwächt werden, daß es eine leichte Beute für fremde Eroberer wurde.
Der Islam bestimmt, daß kein Muslim wegen seiner Herkunft oder seiner Rasse bevorzugt oder benachteiligt werden darf. Diese Moral ließ gerade die Masiren den Arabern zujubeln, ließ sie zu den eifrigsten Vorkämpfern des Islam werden. Dann mußten sie mit wachsender Verbitterung feststellen, daß es die Araber selber mit ihren egalitären Ideen nicht wörtlich nahmen. Zwar wurden glaubenseifrige Nichtaraber gerne in das arabische Heer aufgenommen. Soldaten wurden dringend benötigt. Selten aber stieg ein Nichtaraber in die Offiziersränge auf. Hier erwies sich, daß die Araber, obwohl sie plötzlich im Rampenlicht der Weltgeschichte standen, nicht gelernt hatten, politisch in großem Format zu denken, sondern ganz im Gegenteil ihren überkommenen Beduinentraditionen treublieben. Der Islam konnte hier nur an der Oberfläche das eingewurzelte Denken kratzen können. Es gelang ihm nicht, die sippenstolzen Beduinen in eine gleichberechtigte "Familie aller Gläubigen" einzuordnen. Zurück

Masiren begehren auf
Im Jahr 740 gab es den ersten Aufstand der Masiren. Unter den Masiren hatte es schon geraume Zeit gegärt, seit Steuereintreiber mit schwerbewaffneten Polizeitruppen die Dörfer heimgesucht hatten. In ihrer Wut erschlugen sie die Steuereintreiber und Gesandte des Statthalters, rotteten sich zusammen und zogen zum Kampf gegen die anrückenden Regierungstruppen. Die Masiren waren schlecht gerüstet, aber wild entschlossen, sich nie wieder zu unterwerfen. In der Ebene von Tanger stießen die Gegner aufeinander. Die Masiren siegten, der Statthalter mußte schwer verletzt mit Hilfe seiner Getreuen fliehen. Zwei Jahre vergingen, bis der Kalif eine imposante Streitmacht aus Syrien nach Marokko schickte. Wieder siegten die Masiren.
Dann schlossen sich sogar die masirischen Soldaten in Spanien dem Aufstand an. Einer ihrer Führer hieß MONUSA, übrigens ein echter masirischer Name. Er war zusammen mit TARIQ nach Spanien gekommen und versetzte nun den ABDULMALIK IBN KATA in Angst und Schrecken.
Erbittert hatten die Soldaten mitansehen müssen, daß arabische Offiziere und ihre Reiter die Beute fast ausschließlich unter sich aufteilten. Zudem wirkte die demütigende Bestrafung des TARIQ noch immer in der Erinnerung nach. Das islamisch bekehrte Spanien, eben erst erobert, drohte in den Wirren eines jahrelangen Bürgerkrieges zu zerbrechen. Zurück

Das islamische Andalusien ist Mittelpunkt der Welt
Da aber betrat ein Mann die Szene, der den ersehnten Frieden für Nordafrika und Spanien brachte - und darüber hinaus einen Aufschwung der Kultur, der seinesgleichen suchte. Er hieß ABD AR RAHMAN und war der einzige Überlebende aus der entmachteten Sippe der Omaiyaden.
ABD AR RAHMAN war einer der zahlreichen Söhne des Omaiyadenkalifen HISHAM. Er wuchs unbeachtet heran, denn als erwachsener Mann schien er niemals für die Nachfolge in Frage zu kommen, galt doch seine bildhübsche Mutter nicht als rechtmäßige Ehefrau des Kalifen, sondern fristete nur ein Dasein als Konkubine. Erst später sollte für den Sohn wichtig werden, daß sie die Tochter eines einflußreichen Masirenfürsten [Aloabbasiyun] in Tunesien war. In den stark befestigten Dörfern der Zenata-Masiren am Fuß des Atlas-Gebirges fand er eine sichere Zufluchtstätte. Die Abbasidensippe hatte die Macht an sich gerissen und sich geschworen, sämtliche Angehörigen der Omaiyadensippe aufzuspüren und umzubringen. ABD AR RAHMAN wollte im Westen des islamischen Großreiches einen Staat der Omaiyadendynastie errichten, und unter seiner Führung sollten Masiren und Araber zusammen eine starke Macht bilden. Tammurt w-Andalus oder Al Andalus, wie die Muslime die Iberische Halbinsel im Andenken an die Vandalen nannten, dieses vom Bürgerkrieg zerrissene Land, schien auf einen Mann mit einer starken Hand zu warten. Die Araber sahen in ihm den Nachkommen einer ehrwürdigen Dynastie, die Masiren schätzten an ihm, daß seine Mutter eine der Ihren war. Sowohl die Masiren und Araber jubelten ihm zu. Er allein schien der ideale Mann zu sein, die feindlichen Gruppen zu versöhnen. Und so reiste ABD AR RAHMAN, der inzwischen den Beinamen AD-DAKHIL erhalten hatte, bis zur Meerenge von Gibraltar, eskortiert von schwer bewaffneten Reiterbrigaden der Atlasstämme. ABD AR RAHMAN setzte über, eroberte bald Sevilla und zog in Cordoba ein. Dort ließ er sich im Jahr 756 zum Emir des Reiches von Cordoba ausrufen. Die Kalifen schickten ein Heer nach Spanien. Aber die Entfernung war zu weit, die Nachschubwege zu unsicher. ABD AR RAHMAN konnte die Eindringlinge mühelos besiegen. In den 33 Jahren seiner Regierung erreichte er schließlich, daß ihn die Araber und Masiren gleichermaßen als ihren Herrn anerkannten.
Drei Jahre vor seinem Tod ließ sich ABD AR RAHMAN von dem Ehrgeiz packen, den Kalifen der Abbasiden in Bagdad zu übertreffen. Cordoba stieg zu einer der glanzvollsten Städte der damals bekannten Welt auf. Daneben wuchsen auch die Städte Toledo, Sevilla und Granada zu Zentren des Maurenreichs heran. Alle diese Städte besaßen neben prächtigen Moscheen, Palästen, Universitäten, Krankenhäusern, öffentlichen Büchereien und Basaren ein weitgefächertes Netz von gepflasterten Straßen, die nachts mit Fackeln beleuchtet waren, unterirdische Abwässerkanäle, eine Müllabfuhr und ein Ärzteteam, das detaillierte Hygienevorschriften erließ. Jenseits der Pyrenäen hingegen konnten die Städte nur Lehmwege vorweisen, auf denen der Abfall verrottete und Tierkadaver verwesten und lediglich die Mönche in den Klöstern lesen und schreiben konnten, während die übrigen Menschen Analphabeten blieben.
In Andalusien zeigten sich die Christen von der islamischen Weltoffenheit zutiefst beeindruckt. Arabisch wurde beherrschende Sprache. Dabei hatten die Masiren Spanien erobert, waren die Araber nur in vereinzelten Reitertrupps gekommen, waren Araber oft nur hohe Offiziere und Beamte gewesen. Die Mehrzahl der Soldaten, Bauern und einfachen Leute waren Masiren - "Mauros", wie sie einst von den Römern genannt wurden. Die Spanier übernahmen diese Bezeichnung und dehnten sie auf alle Muslime aus, so erdrückend mußte ihnen das Übergewicht der Masiren erschienen sein. Aber diese Masiren siedelten sich in den Dörfern der Hochebenen und Gebirge an, weniger in den Städten, und dort meist nur in den Kasernen als Polizeitruppen. Ihnen mußte das Leben in den Städten gar zu fremd gewesen sein, deshalb zogen sie es vor, weiterhin als Krieger, Nomaden oder Bauern so zu leben, wie sie es in den nordafrikanischen Gebirgstälern und Steppen gewohnt waren. Damit rückten sie aus dem Mittelpunkt. Zurück

Das Ende des Omaiyaden-Kalifats in Spanien
In der Nähe von Ronda ca. 100 km westlich von Malaga rotteten sich unter Emir HISHAM, dem Sohn ABD AR RAHMANS, Masiren zusammen, verweigerten die Steuern und forderten höheren Sold für ihre Soldaten. HISHAM zögerte nicht lange, schickte eine schwerbewaffnete Reiterei in die Berge und ließ unter den Aufständischen ein fürchterliches Blutbad anrichten. Um die Aufstände rebellischer Masiren niederzuschlagen, schickte HISHAM die schlagkräftigste Reiterei von Zenata-Masiren los, Krieger jenes Großstammes, aus dem seine Großmutter stammte. Noch war es möglich, Masiren gegeneinander aufzuhetzen. Das Sippen- und Verwandtschaftsdenken war stärker als die Sehnsucht nach Einheit.
Knapp ein Jahrzehnt später, unter HAKAM I., brachen wieder Aufstände los. Der prunkliebende Emir hatte die Steuern erhöht, und unter seiner Herrschaft grenzte sich der arabische Adel schroffer denn je ab. Wieder schlug ein Emir mit grausamer Härte zu. Eingeschüchtert verstummten die Masiren für die nächsten Jahrzehnte. Ihnen fehlte weiterhin die Einigkeit; sie waren und blieben untereinander in feindliche Stämme gespalten; die Emire hatten mit ihnen ein leichtes Spiel. Ja, sie steigerten sogar noch ihre Macht. ABD AR RAHMAN III. nahm selbst den Titel "Kalif" an und dehnte seinen Herrschaftsbereich aus bis weit nach Nordwestafrika. Aus allen Landesteilen flossen ihm reichlich die Steuern der Unterworfenen zu. Aber mit dem Stolz der Herrscher wuchs auch das Selbstbewußtsein der Untertanen. Die Enkel und Urenkel ABD AR RAHMANS III. entpuppten sich mehr und mehr als entschlußschwache Männer, die sich allenfalls noch für Kunst oder für die Freuden ihres Harems interessierten.
Masirische Truppen meuterten, weil sie ihren Sold nicht rechtzeitig bekamen, Bauern in den Dörfern verweigerten ihre hohen Steuerzahlungen. Sie brannten das Regierungsviertel von Cordoba nieder. Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1031, erschütterte abermals ein Aufstand Cordoba. Dann traten die Minister zusammen und erklärten den Kalifen für abgesetzt. Das Kalifat der Omaiyaden hatte aufgehört zu existieren. Nun herrschten in Spanien eine Unzahl von Fürsten über winzige Landstriche. Das einst mächtige Maurenreich drohte auseinanderzubrechen. Zurück

Der Ansturm der Beni Sulaym und Beni Hilal
Durch die Ankunft der Gefolgsleute OUQBAS änderte sich die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung Nordwestafrikas nicht wesentlich. Die arabische Bevölkerung bestand ausschließlich aus Beamten, islamischen Predigern und Soldaten. Die in der Tamezgha seßhaft gewordenen Araber heirateten einheimische Frauen, und ihre Nachkommenschaft vermischte sich mit der umwohnenden Bevölkerung.
Erst im Jahre 1057 nahm die Übersiedlung von Arabern erwähnenswerte Ausmaße an. In diesem Jahr war die Tamezgha der Schauplatz einer Katastrophe. Der Anlaß war dagegen relativ gering: In seiner Residenz von Tunis hatte der Masirenfürst EL MOOIZZ begonnen, von einem eigenen Reich zu träumen. Er regierte zwar ohnehin schon über ein riesiges Gebiet, das von den Ausläufern des Atlas bis in die Sahara reichte, aber noch galt er als Statthalter des Kalifen von Kairo, noch hatte er einen Teil seiner Gelder nach Ägypten abzuliefern. EL MOOIZZ zahlte immer unregelmäßiger, bis er die Abgaben schließlich vollends verweigerte. Dies kam einer Kriegserklärung gleich. EL MOOIZZ mit seiner stattlichen Armee von masirischen Reitern glaubte, er könne sich die offene Rebellion gegen den schwachen Herrscher im fernen Kairo leisten. In Ägypten gab es zu jener Zeit zwar keine schlagkräftige Armee mehr, sondern nur rebellische Nomadenstämme. EL MOOIZZ konnte nicht ahnen, daß es dem Kalifen gelingen würde, gerade diese Rebellen zu einem Raubzug in reichere Gebiete - eben in Richtung Tunis - zu bewegen.
Einem bösen Spuk gleich kamen plötzlich Kamelreiterhorden herangedonnert. Araber von den Stämmen der Beni Hilal und der Beni Sulaym "drangen wie ein Heuschreckenschwarm ein, der auf seinem Durchzug alles vernichtet", wie IBN KHALDUN berichtete. Sie sollten den abtrünnigen Statthalter bestrafen und die Gebiete wieder für Kairo zurückerobern.
In jenem unheilschwangeren Jahr 1057 zerschlugen diese Nomaden die Armee des EL MOOIZZ. Sie warfen Fackeln in erntereife Getreidefelder, zündeten zahlreiche sommertrockene Wälder und Olivenhaine an und erschlugen jeden, der sie daran hindern wollte. Gnadenlos überwalzten sie die fruchtbaren Küstenlandschaften zwischen Tripolis und Algier. Die Beni Sulaym und Beni Hilal zerstörten mit einer erschreckenden Gründlichkeit alles, was einst Masiren, Karthager, Griechen und Römer in jahrhundertelanger Mühe aufgebaut und was die islamischen Missionare sorgfältig weiter gepflegt hatten. Die Kulturlandschaft Nordafrikas hatte jene Dauerschäden erlitten, an denen sie bis heute leidet. Damals erst wurden ausgedehnte Gebiete Libyens, Tunesiens und des östlichen Algerien zu einer kargen Steppenlandschaft.
Damals erst begann die Wüste unaufhaltsam in die Nähe der Küsten vorzudringen und die Ebenen so trostlos machen, wie der Besucher von heute sie fassungslos betrachtet - Landstriche, die einst als die Kornkammer des Römischen Reichs gegolten hatten, Landstriche, die selbst noch die frommen Gefolgsleute OUQBAS als einen fruchtbaren Paradiesgarten empfunden und gepflegt hatten.
Zudem verfolgten die Beni Hilal und Beni Sulaym jeden, der nicht arabisch redete, sie erklärten alle Gesetze für ungültig, die ihren Lebensgewohnheiten widersprachen. Mit Genugtuung ließen sie es geschehen, daß die Bauern ihre zerstörten und verkarsteten Felder verließen, sich den Nomaden anschlossen, unstet von Weidegrund zu Weidegrund zogen und schließlich die Sprache der Sieger - Arabisch - annahmen. Fanatisch und engstirnig vertrieben sie die Masiren, die weiterhin Masiren bleiben wollten, sie jagten die Widerspenstigen aus den küstennahen Ebenen in die abgelegenen Bergtäler und Wüsten. Seitdem gibt es in Libyen und Tunesien nur noch wenige Stämme mit einer unverfälschten masirischen Kultur. Marokko dagegen war von den Vernichtungszügen der Beni Hilal und Beni Sulaym weitgehend verschont geblieben. Deshalb konnte sich das masirische Element in Marokko am reinsten und lebendigsten erhalten.


give peace a chance.

Re: Die Geschichte der Masiren #25201
01/03/02 12:37 PM
01/03/02 12:37 PM
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Geschichte der Masiren
(Teil 3: Die Vertreibung der Muslime aus Spanien, “Reconquista”)
unveröffentlicht (Vorschau auf Taziri 3)


An der Nordgrenze des maurischen Reiches marschierten derweil christliche Heere auf. Die Christen sahen die Chance gekommen, den Mauren Spanien Stück für Stück zu entreißen. Zu jener Zeit begann die "Reconquista" - die "Rückeroberung" Spaniens durch katholische Fürsten. Im Jahr 1085 rückte Alfons VI. in Toledo ein. Der Schock für die Mauren war ungeheuerlich. Toledo, das blühende Zentrum des Islam in Mittelspanien, war an die Christen verloren!
Kuriere eilten zwischen den Residenzen der maurischen Fürsten hin und her, aber die Emire konnten sich nicht einigen. Da trafen sich führende Korangelehrte aus ganz Spanien in Cordoba und schlugen vor: Die Mauren müßten sich nach Marokko um Hilfe wenden, dort regiere ein mächtiger und glaubenstreuer Herrscher, er solle ihnen mit einem Heer zu Hilfe eilen. Dieser Herrscher aber war ein Masire. Er hatte vor Jahren im Süden Marokkos eine Dynastie gegründet, war mit seinem Heer nach Norden vorgedrungen und hatte sich nach siegreichen Kämpfen gegen Stammesfürsten zum Ziel gesetzt, das ganze westliche Nordafrika unter seine Herrschaft zu zwingen. Nun waren die Masiren im Jahre 1086 allein dazu aufgerufen nicht nur über den "Maghreb" zu herrschen, sondern auch "Al Andalus" für den Islam zu retten. Ein Masire wurde somit der einzig würdige Nachfolger der Kalifen von Cordaba sein. Damit mußte die arabische Vorherrschaft endgültig der von Masiren weichen.
Ein gewaltiges Heer folgte dem Hilferuf der Emire und näherte sich der nordafrikanischen Küste zwischen den Städten Tanger und Ceuta. In seinen Reihen ritten hellhäutige Masiren des Hohen Atlas in weiten Kapuzenmänteln, Masiren aus den Großstämmen der Zennata und Masmuda, aber sie waren nur die Hilfstruppen, von einem mächtigen Herrn zur Gefolgschaft gezwungen. Im Kern der Truppen zogen Kamelreiter in weiten Umhängen und großgewickelten Turbanen und schwarzen Gesichtsschleiern. Ihre Haut war dunkler als die der Masiren des Atlasgebirges und der Küstenebenen, sie waren Nomaden aus dem Herzen der Sahara, den Tuareg verwandt. Anders als die Stämme des Nordens benutzten sie für ihre Angriffe nicht Pferde, sondern Rennkamele. Ihr Stamm nannte sich "Lamtuna", die "Verschleierten". Sie gehörten zum Großstamm der Sanhadja-Masiren. Knapp drei Jahrzehnte war es her, daß sich ihre Stammesführer dem Feldherrn der "Verschleierten" gebeugt hatten, und dann war die Völkerlawine aus dem äußersten Süden der Sahara hervorgebrochen, hatte Marokko überschwemmt, hatte Stämme der Zennata und Masmuda unterworfen und auch diese zu Gefolgstruppen gemacht.
Ihr überragender Führer war seit dem Jahr 1061 Yusuf Ibn Tashufin, eine düstere, hoheitsvolle Gestalt, mit herrisch blitzenden Augen hinter seinem schwarzen Gesichtsschleier. Er hatte in der Mitte Marokkos eine Stadt gegründet, zum Zeichen, daß er nicht zu kurzfristigen Raubzügen aus der Wüste aufgebrochen sei, sondern auf Dauer im eroberten Land zu bleiben gedenke. Seine Residenz nannte er masirisch schlicht und einfach "Mraksch", "die Stadt", woraus später "Marrakesch" wurde. Von Marrakesch aus zog er mit seinen Kamelreitertrupps nach Norden und rückte bis Algerien vor. Im Mai des Jahres 1086 sein Heer nahe der nordmarokkanischen Hafenstadt Ceuta, die Reiter blickten erwartungsvoll hinüber zur spanischen Küste.
Begonnen hatte der kometenhafte Aufstieg der Sanhadja-Masiren südlich der Sahara, wo die Savannenlandschaft Schwarzafrikas begann. Dort endete die Herrschaft des Islam an den stets unruhigen Weidegebieten heidnischer Nomadenstämme, und dort waren eine Reihe stark befestigter Grenzburgen entstanden, sogenannte "Ribats", "Glaubensburgen". In den Ribats wohnten eine Reihe auserwählter Glaubenskriege, die ihr Leben dem "Heiligen Krieg" und der Religion geweiht hatten; meist lebten sie streng asketisch und kannten neben den täglichen Kampfübungen nur die Versammlung zum Gebet und der Koranlesung. Ein marokkanischer Einsiedler namens Abdallah Ibn Yasin errichtete mit seinen Gefolgsleuten ein Ribat auf einer Insel des Miger im Senegal. Er muß ein Mann von einer bemerkenswerten Ausstrahlung gewesen sein, denn er konnte innerhalb kurzer Zeit die verschiedensten Kaids ("Führer") der Sanhadja-Masiren auf sich aufmerksam machen. Ein Kaid nach dem anderen besuchte ihn in seinem spröden, spartanisch wirkenden Ribat und lauschte fasziniert den Predigten dieses Eiferers. Abdallah Ibn Yasin predigte den "Heiligen Krieg". Religion sei dazu da, um mit dem Schwert den "Ungläubigen" gebracht zu werden. Und als "ungläubig" galten auch die Muslime, die nicht streng genug die Gebote des Korans befolgten. Fanatisch führten die Kaids Krieg gegen heidnische Nomaden im Süden wie gegen muslimische Stämme im Norden. Ihr Heer hatte ständigen Zulauf immer neuer Anhänger. Dem Kaid der Lamtuna-Masiren gelang es schließlich, all diese Glaubenskrieger unter seiner Führung zu einigen. Er begründete den Orden der "Al Murabitun", "Männer der Glaubensburg". Ihr geistiger Führer wurde der Einsiedler Abdallah Ibn Yasin, ihr Feldherr aber der Kaid Ibn Tashufin. Später haben die Spanier aus dieser Bezeichnung "Almoravides" gemacht - und dies sollte der Name der ersten überragenden masirischen Dynastie werden.
Es war nicht einfach, zum engsten Kreis des Ordens zu gehören. Jeder, der in den Orden eintreten wollte, hatte sich auf seine Härte und seine Glaubensstärke prüfen zu lassen. Er mußte 100 Peitschenhiebe auf seinen nackten, bewegungslos hingehaltenen Rücken niederprasseln lassen und bekam so einen Vorgeschmack von der spartanischen Disziplin, die ihn erwartete. Schmerzen ertragen bis zum äußersten und gehorchen - dies waren die obersten Tugenden der "Al Murabitun".
Die Mauren sahen dem nahenden Heereszug der Masiren mit gemischten Gefühlen entgegen. Die Korangelehrten hatten lange überlegt, ob sie wirklich diese "Barbaren" aus der Sahara gegen die Christen zu Hilfe rufen sollten. Unter den arabischen Emiren wurden sogar Stimmen laut, die dem Leben unter einem christlichen König den Vorzug gaben. Am 30. Juni 1086 schließlich landeten die Masiren in Algeciras. Yusuf Ibn Tashufin übernahm das Kommano auch über die maurischen Truppen und rückte dem anrückenden Heer der Christen entgegen. Bei Sagrajas, nahe Badajoz, kam es zur Schlacht. 80.000 Reiter und 20.000 Fußsoldaten der Christen sollen in dieser Schlacht getötet worden sein. Yusuf Ibn Tashufin verfolgte den fliehenden König jedoch nicht, sondern kehrte nach Marokko zurück. Ihm genügte es vorerst, daß die maurischen Fürsten ihm und nicht mehr den Christen Tribut zahlten.
Im Jahr 1090 kehrte er nach Spanien zurück. Korangelehrte waren in sein Heerlager gekommen und hatten bittere Klagen gegen die Emire geführt: Diese Emire seien keine echten Muslime mehr, denn sie forderten von den Gläubigen überhöhte Steuern und lebten in unvorstellbarem Luxus. Tashufin erklärte voll Zorn den "Heiligen Krieg" gegen die Glaubensbrüder. Er besetzte Granda, Malaga und zog in Sevilla einl Dort ließ er die prachtvollen Paläste anzünden, die Basare plündern und die Beute auf hochbepackten Lastkamelen davontragen. Die Reiterscharen der Almoraviden drangen unentwegt in den Norden Spaniens vor, und bald hätten sie noch Toledo erreicht und zurückerobert. Da aber trat ihnen der spanische Adelige Rodrigo Diaz de Vivar entgegen und bot ihnen mit seinem starken Heer Widerstand. Er verschanzte sich nach siegreichen Schlachten in Valencia und machte die Stadt zu uneinnehmbaren Festung. Masiren und Araber nannten den Grafen wegen seiner unbeugsamen Tapferkeit anerkennend "El Seyid", "der Herr", woraus im Spanischen "El Cid" wurde. Spätere Generation von christlichen Spaniern haben diesen El Cid zu ihrem Nationalhelden gemacht.
Tashufin hatte sein Ziel trotz allem erreicht: Andalusien war für den Islam gerettet. Ibn Tashufin und seine Nachfolger verabscheuten den Luxus der früheren Emire und lebten streng spartanisch wie einfache Krieger. Sie schafften die hohen Steuern ab, die die Bürger bislang für die aufwendigen Palastbauten hatten aufbringen müssen, und verlangten nur noch den im Koran vorgeschriebenen Zehnten für die Armen.
Stolz und unnahbar ritten die Sanhadja-Krieger durch die Gassen der andalusischen Städte. Deutlich fühlten sie sich den "verweichlichten" Städtern überlegen. Ganz selbstverständlich gaben sie ihre Befehle in der Sprache des Sanhadja-Stammes. Tashufin sprach kein Arabisch, erst seine Nachfolger gingen dazu über, die Sprache der gebildeten Muslime zu lernen.
Doch die rauhen Nomaden taten sich schwer, Verständnis für die Bibliotheken, die wissenschaftlichen Institute und die verfeinerten Sitten aufzubringen. Ihnen erschien alles das verdächtig, was das Reich von Cordoba einst zum modernsten Kulturstaat der Welt gemacht hatte. Der Koran galt ihnen als das einzig lesenswerte Buch. Den einfachen Kriegern aus der Wüste mußte unverständlich bleiben, daß die Gelehrten einen Koranvers verschieden auslegen konnten. War im "heiligen Buch" nicht alles eindeutig gesagt? Wozu also Diskussionen über Wahrheiten, an denen es nichts zu rütteln gab? Die Emire aus dem Stamm der Sanhadja erließen bald strenge Gesetze, um den Islam vor "Irrlehren" zu bewahren. Auf den Marktplätzen der Städte flammten Scheiterhaufen auf. Stumm mußten die Korangelehrten mitansehen, wie ihnen wichtige Bücher zu Asche verbrannt. Jene Mauren fühlten sich traurig bestätigt, die stets vor den Männern aus der Wüste gewarnt hatten.
Aber schon standen die Männer bereit, das Maurenreich zu neuer Blüte zu führen. Wieder waren es Masiren, und dieses Mal kamen sie aus dem Atlasgebirge. Sie begründeten die zweite bedeutende masirische Dynastie und nannten sich "Al Muhawidun", "Bekenner der Göttlichen Einheit". Im Spanischen wurde daraus "Almohades". Der Begründer dieser Dynastie hieß Mohammed Ibn Tumert. Er hatte mehr von der Welt gesehen als Yusuf Ibn Tashufin. Er, einer der Kaids aus dem Großstamm der Masmuda-Masiren, hatte eine Pilgerreise nach Mekka angetreten und dabei die damals wichtigsten Städte des Vorderen Orients kennengelernt: Kairo, Damaskus, Bagdad. Ibn Tumert sprach fließend arabisch und konnte so mühelos mit den gebildeten Muslimen in den Städten diskutieren. Jahrelang blieb er in diesen glanzvollen Metropolen, denen das christliche Europa jener Zeit nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatte. Er hörte an den Universitäten die bedeutendsten Theologen des Islam sprechen.
Erfüllt von neuen Ideen kehrte er um 1107 in die marokkanische Heimat zurück und fing unter den Masiren seines Großstammes zu predigen an. Leidenschaftlich verdammte er die Almoraviden in ihrer geistigen Enge, ja er beschuldigte sie, keine echten Muslime zu sein. Ibn Tumert gelang es, etlichen Kaids der rauhen Masmuda-Masiren das verfeinerte Denken islamischer Großstadtkoranschulen nahezubringen.
Die Stammburg der Almohaden stand in Tinmal, einem stark befestigten Wehrdorf des westlichen Hohen Atlas. Während die primitiven Wandernomaden der Sanhadja aus der Wüste kamen, waren die Masmuda seßhafte Bauern. Solche Gegensätze ließen sich nicht überbrücken. Nie hatten die Stämme friedlich miteinander leben können.
Ibn Tumert starb 1130. Sein Nachfolger wurde Abd al-Mumin. Er organisierte das Heer und erklärte den Mauren den Krieg. Im Jahr 1145 hatte Abd al-Mumin mit seinem Masirenheer ganz Marokko erobert, rückte nach Algerien vor und schlug bei Tlemcen die Armee der Almoraviden vernichtend. Wenig später landeten die Reitertruppen aus dem Atlasgebirge bei Gibraltar. Zuerst lernten die Mauren einen Heerführer mit dem Namen Al-Mansur "der Sieger" kennen, der mit seinen Truppen plündernd tief nach Andalusien eindrang und dann Gouverneur von Cordoba wurde. Jener Al-Mansur unterschied sich im Gebaren kaum von den Almoraviden bei ihrer Ankunft in Spanien. Herrisch und abweisend ritt er durch die Gassen seiner Residenz; sein Gesicht zeigte stets eine demonstrative Verachtung für die Stadt und ihre Bewohner. Ihm war dies alles zu luxuriös, zu verweichlicht, zu verdorben. Die Emire der Almoraviden hatten längst Gefallen gefunden an den Palästen mit ihren luxuriösen Kissenlagern, feinen Stoffen und den üppigen Mahlzeiten, die von hübschen Sklavinnen serviert wurden. Die einfachen Krieger hatten begonnen zu murren, sobald sie ihre Führer plötzlich in prunkvollen Gewändern vorbeireiten sahen und arabisch sprechen hörten. In ihren Augen waren die Kaids bereits zu halben "Mauren" geworden, die auch schon anfingen, den ungebildeten Masiren zu verachten. Damit erlitten die Almoraviden das Schicksal vieler einfacher Nomadenkrieger, die sich in einer hochentwickelten Kultur festgesetzt hatten: Sie verfielen den äußeren Reizen dieser Kultur und verloren die kriegerische Schärfe.
Die Soldaten von Al-Mansur hatten den Befehl, alle Musikinstrumente und kostbaren Möbel zu zerschlagen. Sie erschienen dem Eiferer überflüssig. Die Weinkrüge ließ er zu Hunderten auf der Straße auskippen, er selbst preschte mit seiner Leibgarde durch die Weinfelder und ritt die Reben nieder. Seine Glaubensmaxime hieß: Nur der sei gottgefällig, der so einfach und bedürfnislos lebe wie ein Bergbauer oder ein Nomade. Und wie Tashufin stand er der Gelehrsamkeit der Islamtheologen argwöhnisch gegenüber. Er ließ ganze Wagenladungen von wertvollen und teils unersetzlichen Büchern und Schriftrollen verbrennen. Damit war für die bedeutendste Bibliothek von Cordoba, die selbst den Sturm der Almoraviden überstanden hatte, auf einen Schlag dem Einfer eines einfältigen Barbaren zum Opfer gefallen. Daran zeigte sich, daß viele Masmuda-Masiren von den Predigten des Ibn Tumert nur oberflächlich berührt waren. Im Innersten waren sie einfache Stammeskrieger geblieben. Manche hervorragende Gelehrte resignierten und wanderten nach Kairo, Damaskus oder Bagdad aus.
Abd al-Mumin zeigte sich entsetzt über das Gebaren seiner Gouverneure. Er war vom Geiste Ibn Tumerts geprägt, er hatte eine tiefe Achtung vor den städtischen Bildungszentren und Universitäten, er wollte die Traditionen der glorreichen maurischen Kultur wiederbeleben. Doch Abd al-Mumin blieb nicht die Zeit, um selbst diesen Plan zu überwachen. Er mußte ständig Krieg führen - gegen die christlichen Könige im Norden Spaniens führen, gegen die letzten versprengten Heere der Almoraviden, gegen rebellische Fürsten der Mauren, gegen aufständische Masiren. 1147 endlich eroberte er Sevilla. 10 Jahre später unterwarf er die rebellischen Fürstentümer Granada und Almeria, 2 Jahre später rückte er siegreich über Algerien bis Tunesien vor. Er, der Masire, hatte im äußersten Westen der islamischen Welt ein Großreich errichtet wie noch kein Muslim vor ihm. Selbstbewußt ernannte er sich 1162, 3 Jahre vor seinem Tod, zum Kalifen.
Die Nachfolger Abd al-Mumins machten aus Sevilla ein Kulturzentrum, wie es seit den Omaijaden nicht mehr bestanden hatte. Die Regale der Bibliotheken füllten sich wieder, Gelehrte konnten wieder öffentlich über den Islam diskutieren. Bald ging es bei diesen Diskussionen annähernd so weltoffen zu wie einst an den Kalifenhöfen von Damaskus, Cordoba und gegenwärtig noch in Bagdad - nur daß dieses Mal ein masirischer Fürstüberzeugend die Kultur förderte.
Die Almohaden regierten von Sevilla aus. Die Stadt bedeutete für die damalige Zeit Stadtkultur in Vollendung und besaß deshalb für die Muslime in Spanien und Nordafrika magische Anziehungskraft. Auch aus dem benachbarten Frankenreich, in Italien und dem Deutschen Reich strömten Kaufleute, Gelehrte und Studenten in das maurische Spanien, und jetzt begannen die Christen staunend zu lernen.
Überall, wo die Almohaden herrschten, entstanden Moscheen, Koranschulen, Basare, Stadttore und öffentliche Bäder - nicht nur in Spanien, sondern auch in den Gebieten des heutigen Algerien, Tunesien und Marokko. Unter der masirischen Herrschaft der Almohaden erwachte Marokko endgültig aus seinem kulturellen Dämmerschlaf.
Die Almohaden hatten das mächtigste Masirenreich der Geschichte errichtet, politisch und kulturell eigenständig. Ihre Kalifen brauchten sich nicht mehr den arabischen Lehrmeistern unterlegen zu fühlen, im Gegenteil: Sie durften sich selbst als Lehrmeister empfinden.
Doch auch dieses Reich konnte nicht von Dauer sein. Auch die Masmuda-Masiren verfielen in die Fehler aller bisherigen Stämme aus dem Atlasgebirge und der Sahara - sie fühlten sich nicht in erster Linie als Muslime, ja nicht einmal als Masiren, sondern eben als Masmuda. Ein Masmuda galt mehr als ein Araber, Spanier oder gar als ein anderer Masire. Ein Masmuda durfte deshalb auch besondere Vorrechte beanspruchen. Auch die Almohaden versäumten die Chance, die völkerverbindende Idee des Islam uneingeschränkt zu verwirklichen. Stets lauerten die unterdrückten Stämme darauf, im günstigsten Augenblick das Joch ihrer Sieger abzuschütteln und selbst nicht minder stolz über die bisherigen Herren zu regieren.
In Südalgerien wurden die Beni Merin aus dem Großstamm der Zennata rebellisch. Sie zogen über Marokko in Richtung Andalusien und lieferten den Masmuda erbitterten Schlachten. Natürlich war das ein "Heiliger Krieg" gegen die Herrscher, die ihre Glaubenspflichten vernachlässigten, wie das so gerne in der Sprachregelung der damaligen Zeit hieß.
Den Todesstoß aber führten die Christen Nordspaniens. Dort hatten sich die Könige von Leon, Kastillien und Navarra verbündet, um die zerstrittenen Muslime ein für allemal von der Iberischen Halbinsel zu vertreiben. Truppen aus Frankreich und dem Deutschen Reich schlossen sich ihnen an. Ein frischer Kampfgeist hatte die Christen erfaßt, seit Papst Innozenz III. im Jahre 1212 zum Kreuzzug gegen die Mauren aufgerufen hatte. Am 20. Juni 1212 brach von Toledo aus eine gewaltige Armee der vereinigten christlichen Heere nach Süden auf. Nördlich des andalusischen Dorfes Las Navas de Tolosa stießen die Truppen auf die masirische Armee des Kalifen Mohammed en-Nasir. Es war der 16. Juli 1212 - das Datum einer welthistorischen Wende. Das Ende der Almohaden kam rasch. Von den anderen Masirenstämmen durften sie keine Hilfe erwarten, im Gegenteil, nun drohte ein Krieg Muslime gegen Muslime; Masiren gegen Masiren. Die Beni Merin drangen in Marokko weiter nach Norden vor und schlug das Heer der Masmuda-Masiren im Jahre 1216 vernichtend. Unaufhaltsam löste sich das Recih der Almohaden auf.
Die siegreichen Beni Merin begründeten in Marokko eine eigene Dynastie, die der Meriniden. Zu ihrer Hauptstadt machten sie Fès und regierten mehr als zwei Jahrhunderte lang von Tanger bis tief in die Sahara hinein. Sie blieben nicht die einzigen Masiren, die auf den Trümmern des Almohadenreiches einen eigenen Staat errichteten. Die Abd el-Wadiden, Zennata-Masiren wie die Meriniden, riefen in Tlemcen ihr Reich aus und beherrschten von dort aus weite Gebiete des Atlasgebirges und der Sahara. In Tunis rissen die Hafsiden, Masmuda-Masiren wie die Almohaden, die Macht an sich. Damit war das gigantische Almohadenreich in drei selbständige Staaten zerfallen - masirische Staaten, die ständig Krieg miteinander führten. Nie wieder sollten diese zerstrittene Staaten des "Maghreb" zueinanderfinden. Damals bildeten sich ungefähr jene Grenzen heraus, die uns mit nur unwesentlichen Änderungen heute vertraut sind: Aus dem Herrschaftsgebiet der Meriniden bildete sich das Königreich Marokko, aus dem der Abd el-Wadiden Algerien, aus dem der Hafsiden Tunesien.
In Spanien konnte nichts mehr den Siegeszug der Christenarmee aufhalten. 1236 eroberte sie unter Ferdinand III. von Kastilien die Stadt Cordoba. 1248 fiel Sevilla. Die Mauren verloren ihre wichtigsten Fürstentümer in Spanien - bis auf eines: Granada. Der dortige Emir Ibn Amar war klug genug gewesen, nicht gegen die übermächtigen Kastilier Krieg zu führen, vielmehr ritt er kurz entschlossen in das Heerlager König Ferdinands und stellte sich unter seinen "Schutz". Von nun an mußte Granada hohen Tribut an Kastilien bezahlen, aber es konnte hoffen, daß nun keine christlichen Eroberer die Grenzen überschritten. Solange die Könige von Kastilien und Aragon untereinander Krieg führten, konnte sich dieses letzte maurische Fürstentum auf spanischem Boden ohnehin sicher fühlen, außerdem war es durch den Gebirgszug der Sierra Nevada und stark befestigte Burgen an den Hängen der engen Täler gegen Westen abgeriegelt. Das Reich von Granada war von beachtlicher Größe, das sich immerhin im Osten bis Almeria, im Norden bis Jaen und im Südwesten bis zur Meerenge von Gibraltar dehnte. Granada hatte sich durch eine Unzahl maurischer Flüchtlinge sprunghaft vergrößert. Fähige Männer, Handwerker, Kaufleute, Künstler und Gelehrte strömten in das Land. Schulen, öffentliche Bibliotheken, eine Universität, Thermalbäder, Basarstraßen, Paläste - all das besaß das aufstrebende Granada während des 14. und 15. Jahrhunderts; nirgends im christlichen Spanien ließ sich Vergleichbares finden. Araber, die als Besucher aus dem Osten der islamischen Welt kamen, priesen Granada als "Juwel", der mehr "funkelt" als die Residenzen von Fès, Marrakesch und Tlemcen, vergleichbar nur mit Damaskus und Kairo. Unter den Emiren Yusuf I. (1333-1353) und Mohammed V. (1353-1391) enstand dann jener Bau, der sich als unübertroffener Höhepunkt maurischer Kultur ein für allemal im Bewußtsein der Menschheit festsetzen sollte: die Alhambra. Die Bauherren dieses einzigartigen Palastes waren Emire von der Dynastie der Nasriden. Sie leiteten ihre Abstammung von einem uralten arabischen Geschlecht her. Doch was sagt das schon in einem Land, in dem es seit Jahrhunderten nur eine dünne arabische Oberschicht gegeben hatte. Die Masse des Volkes bestand seit jeher aus Masiren; Masiren stellten einen Großteil der Bauern, Krieger und Kaufleute; Masirinnen bevölkerten überwiegend die Harems arabischer Fürsten und gebaren ihnen die Prinzen. Die meisten maurischen Fürstengeschlechter wie die Omaijaden waren nur noch in ihrer Sprache "arabisch" gewesen sein, kaum aber floß mehr arabisches Blut in ihren Adern, so vehement sie das auch behaupten mochten.
1469 begann für die Muslime eine verhängnisvolle Zeit: Isabella, die Thronerbin von Aragon, und Ferdinand, der Thronerbe von Aragon, heirateten und vereinigten 1479 ihre Länder zu einem Königreich. Jetzt fühlten sich die Christen stark genug, die letzte Bastion des Islam zu erobern. Vergeblich sandte der Emir Abu Abdallah Hilferufe an die masirischen Fürsten in Nordafrika, denn jene waren in Stammeskriege untereinander verwickelt. Gegen die Übermacht der Spanier war der hilflos. Nach elf Jahren Krieg lagerten im Winter 1491 vor Granada 80.000 Mann. Am 2. Januar 1492 ergab sich die Stadt. Das war das Ende der Mauren in Spanien.
Im Jahr 1499 wurden auf dem Marktplatz von Granada Scheiterhaufen errichtet, und dann nahten Dutzende von Karren, vollbeladen mit Büchern und Schriftrollen aus maurischen Bibliotheken. Tagelang brannte das Feuer, in das spanische Soldaten unermüdlich die Werke islamischer Theologie, Philosophie, Geschichte und Naturwissenschaften von höchstem Wert kippten. Der spanische Großinquisitor Kardinal Jiménez des Cisneros hatte persönlich den Befehl dazu gegeben, denn seiner Ansicht nach war das Arabische "die Sprache einer ketzerischen und verachtenswerten Rasse".
In ohnmächtigem Zorn mußten die Muslime mitansehen, ihre Kultur "hinrichteten". Ihnen war nach dem Fall Granadas durch Vertrag zugesichert worden, sie könnten unter dem christlichen König so frei leben wie einst die Christen unter islamischen Fürsten, und nur deshalb hatten sie sich damals nach kurzem Kampf den Siegern ergeben. Und Jiménez befahl noch Schlimmeres: Jeder Muslim müsse gezwungen werden, zum Christenzum überzutreten, außerdem sei künftig das Arabische als Umgangssprache verboten. Die Mauren rebellierten, und Jiménez schlug erbarmungslos zurück. Unzählige Muslime wurden hingerichtet, Moscheen gingen in Flammen auf. Jiménez setzte den Muslimen eine Frist: Falls sie sich nicht zu Christus bekennen wollten, hätten sie binnen 10 Wochen Spanien für immer zu verlassen, ihr Eigentum falle aber der Kirche zu.
Selten hatten Muslime derart zu besiegten Christen gesprochen, galt ihnen doch Jesus als der zweitwichtigste islamische Prophet nach Mohammed. Christen kannten solche Bedenken nicht, für sie blieb Mohammed ein "finsterer Heide", ja der "Antichrist" schlechthin, also müßte ihrer Ansicht nach der fremde Glauben von der Wurzel her ausgerottet werden.
Die Mauren wollten sich dem Befehl nicht beugen. Hunderte von Männern und Frauen mit ihren Kindern verschanzten sich in der Moschee von Granada und stimmten demonstrativ immer wieder das islamische Glaubensbekenntnis an, das in aller Welt auf arabisch gesprochen wird: "La ilaha illa-llah wa Mohammmadun rasulullah", "Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet!" Die Spanier ließen an allen vier Ecken der Moschee Pulverladungen explodieren, so daß das Gotteshaus zusammenbrach und die Muslime unter sich begrub. Auf diese Weise machten die Spanier den Sprechchören ein Ende. In den nächsten Wochen verließen Hunderttausende von Muslimen Andalusien und zogen nach Nordafrika, ihnen folgten in den kommenden Jahrzehnten unzählige weitere Gläubige nach, die vorerst gehofft hatten, der Fanatismus der Christen würde sich bald wieder legen. Insgesamt wanderten bis zum Jahr 1530 etwa 3 Millionen Muslime aus dem ehemaligen Maurenreich Granada aus und ließen sich meist in Fès, Rabat, Marrakesch, Tlemcen und in Tunis nieder. Unter ihnen waren zahlreiche Gelehrte, Künstler, brillante Handwerker und Verwaltungsbeamte - Männer von einem Können, wie es sie zu dieser Zeit nirgends sonst in Spanien gab.
Für die Christen Spaniens war die Vertreibung der Mauren eine Katastrophe. Kein Christ konnte derart hervorragendes Kunsthandwerk schaffen, so präzise Bewässerungskanäle anlegen, so exakt wissenschaftliche Studien betreiben wie die vielgeschmähten Mauren. Die ehemals fruchtbaren Ackerböden Spaniens verwandelten sich unter der glutheißen Sonne Andalusiens zu trostloser Steppe, die Städte verarmten, die Universitäten verödeten. Spanien hörte damit auf, eine führende Kulturnation Europas zu sein.


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Re: Die Geschichte der Masiren #25202
01/03/02 12:41 PM
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Die Website des MVTKS ist auch sonst sehr empfehlenswert.

Viele Grüsse


give peace a chance.

Re: Die Geschichte der Masiren #25203
01/03/02 08:31 PM
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Deutsch vergast, marokkanisch vergessen


In den 20er-Jahren bekämpfte Spanien rebellierende Marokkaner mit Giftgas aus deutsch geführter Produktion.
Die Spätfolgen wirken bis heute nach. Aber Marokkos Regierung unterdrückt Versuche der Opfer, darüber zu reden

MADRID taz Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist in Marokko unerwünscht. Das musste jetzt die "Vereinigung zur Verteidigung der Giftgasopfer im Rif" (ADVGT) erfahren, in der sich Opfer des spanischen Giftgaskrieges in den 20er-Jahren gegen antikoloniale Aufstände sowie deren Angehörige zusammengefunden haben. Die vor zwei Jahren gegründete Gruppe plante für dieses Wochenende ein Kolloquium über den Giftgaseinsatz und seine Spätfolgen. Die marokkanische Regierung verbot die Konferenz, zu der internationale Spezialisten nach Alhucemas in Nordmarokko geladen waren.

Der Vorsitzende der ADVGT, Ilias Omri, vermutet diplomatische Gründe hinter dem Verbot. Das Verhältnis zwischen Marokko und Spanien ist angespannt. "Rabat möchte Madrid nicht noch zusätzlich verärgern", vermutet Omri, der jetzt zum zweiten Mal umsonst ein Kolloquium vorbereitet hat. Bereits im April 2001 wurde eine geplante Konferenz verboten. "Dabei wollen wir uns gar nicht in die Politik einmischen", erklärt Omris Stellvertreter, Aziz Benazzouz.

Die ADVGT will eine wissenschaftliche Studie über die hohe Krebsrate im nordmarokkanischen Rif-Gebirge durchführen, wo das Giftgas in den 20er-Jahren eingesetzt wurde. "In den 60er- und 70er-Jahren starben tausende von Menschen", berichtet ADVGT-Sprecher. Er selbst hat Vater, Mutter, die Großmutter und zwei Onkel durch Leukämie, Lungen- und Kehlkopfkrebs verloren. Sie alle hatten den Krieg im unwegsamen Gebirge miterlebt.

Die Gruppe sieht auch eine deutsche Verantwortung für den Giftgaskrieg in Marokko. "Wir Rif-Bewohner waren die Versuchskaninchen für die deutsche Giftgasindustrie", erklärt der ADVGT-Vizepräsident. Nach dem verlorenem Ersten Weltkrieg, in dem auch Giftgas zum Einsatz gekommen war, forschte Deutschland weiter nach Kampfgasen. Als aus Spanien eine Anfrage dafür kam, war dies der deutschen Industrie recht. Der deutsche Wissenschaftler und Oberleutnant Franz Stolzenberg unterzeichnete im Auftrag der Reichsregierung und Heeresleitung in Berlin am 20. Dezember 1923 ein Geheimabkommen mit Madrid. Anschließend betreute er den Bau einer Produktionsstätte für Lost und Phosgengas bei Madrid. In Melilla, einer spanischen Enklave an Marokkos Küste, baute er eine Giftgasfabrik und Abfüllanlage aus.

Spaniens Kriegsstrategie gegen die rebellischen Berberstämme unter Leitung von Abd el Krim sah so einfach wie brutal aus: Die Verseuchung von Feldern und Wasserstellen sollte den Rebellen die Basis in dem unwegsamen Rif-Gebirge entziehen. Die Bombardierung von Wegen und Marktflecken sollte die Bevölkerung und die Rebellen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken.

Nach Untersuchungen des deutschen Journalisten Rudibert Kunz und des Militärhistorikers Rolf-Dieter Müller wurden in nur zwei Jahren 10.000 Bomben mit über 500 Tonnen Lost abgeworfen. "Damit verfügte Spanien immerhin über mehr als ein Drittel der Lost-Menge, die Großbritannien und Frankreich zusammengerechnet während des Ersten Weltkrieges produziert hatten", heißt es in ihrem Buch "Giftgas gegen Abd el Krim". Zehntausende starben im Krieg.

Auch die Spätfolgen sind verheerend. Im Krebszentrum in der marokkanischen Hauptstadt Rabat kommen 60 Prozent der Patienten aus der einstigen Kriegsgegend um Alhucemas. Viele sind Nachfahren von Kriegsopfern. "Bis heute weiß keiner, ob das daran liegt, dass unsere Heimat noch immer verseucht ist, oder ob Giftgas Mutationen auslöst", sagt Benazzouz. Er will, dass sich Spanien und Deutschland offiziell entschuldigen und an wissenschaftlichen Untersuchungen beteiligen. Das jetzt verbotene Kolloquium sollte als Auftakt für eine breite Kampagne dienen.

REINER WANDLER

taz Nr. 6660 vom 26.1.2002, Seite 10, 127 TAZ-Bericht REINER WANDLER http://www.taz.de/pt/2002/01/26/a0057.nf/text


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