17. April 2001 K U L T U R
T V - P R O D U K T I O N E N
Profit mit Jesus
Das Billiglohnland Marokko hat sich zu einem beliebten Drehort entwickelt - und profitiert vom neuen Interesse an History-Spektakeln mit Orient-Flair.
Ein lauter Knall, und in der Nähe des Jaffa-Tors steigt dichter schwarzer Qualm in den Himmel. Die Altstadt von Jerusalem erlebt mal wieder einen verheerenden Terroranschlag.
Doch das Bild trügt. Weder haben islamische Extremisten eine Bombe gezündet, noch sind jüdische Eiferer schuld am Tumult. Stattdessen hat ein Filmteam die Explosion fabriziert. Und auch der Tatort ist eine Täuschung. Das Jaffa-Tor steht nicht im Heiligen Land, sondern auf einem Hügel im marokkanischen Nirgendwo.
Der nordafrikanische Staat hat sich in den letzten fünf Jahren zum Lieblingsspielplatz für Filmschaffende entwickelt. Das Städtchen Ouarzazate am Fuß des Atlas-Gebirges gilt inzwischen gar als eine Art maghrebinisches Hollywood. Pro Jahr fallen mittlerweile bis zu zehn Produktionsteams ein.
Auslöser für den Boom war die deutsche Kirch-Gruppe, die gerade in dem nachgebauten Jerusalem den historischen Action-Zweiteiler "Die Kreuzritter" abgedreht hat. Von Frühjahr 1993 an ließ der fromme Katholik Leo Kirch hier mit der Verfilmung der Bibel eines seiner Lieblingsprojekte verwirklichen. Die auf 21 Episoden angelegte, in 34 Länder verkaufte Mammut-Reihe (die Folgen 19 und 20 werden Ostern in der ARD ausgestrahlt*) entstand vornehmlich in Ouarzazate. Die Kirch-Leute hatten sich Marokko ausgesucht, weil die archaische Landschaft, die noch anmutet wie vor 2000 Jahren, ins Konzept passte. Da Strommasten und andere Zivilisationsspuren fehlen, sind noch ungehinderte Schwenks mit der Kamera möglich.
Rund 400 Millionen Mark haben die bisherigen Marokko-Produktionen von Kirch gekostet. "Davon blieben rund 60 Prozent im Land", so ein Mitarbeiter.
Vor allem die niedrigen Löhne ziehen die Filmleute an: Für rund 25 Mark am Tag sind Einheimische bereit, zwölf Stunden bei sengender Sonne als Statist zu arbeiten. In Europa oder den USA bekommen Komparsen dagegen bis zu 300 Mark pro Tag.
Auch die Arbeit von Technikern und Kulissenbauern, Handwerkern und Kostümschneidern ist in Marokko bis zu zehnmal günstiger. Ein weiterer Vorteil: Die Kulissen müssen nach Drehschluss nicht einmal abgebaut werden - nervende Naturschützer und klagefreudige Landschaftsfreunde gibt es unter den 40 000 Bewohnern Ouarzazates nicht.
Für sein Land, so glaubt der Unternehmer Mohamed Asli, sei das Filmgeschäft inzwischen "wichtiger als der Tourismus".
Asli kassiert mit. Seine Firma Dagam Film besorgt alles, was die Produzenten wünschen - vom Esel bis zum Beduinenzelt. Regelmäßig suchen Dagam-Mitarbeiter in den Dörfern nach geeigneten Statisten. Dass die Marokkaner auch schon mal Christen darstellen müssen, die gegen Muslime kämpfen, stört die Komparsen nach Aslis Meinung nicht: "Kein Problem - wir machen doch Profit mit Jesus."
Auch sonst bemühen sich die Marokkaner um Reibungslosigkeit: Dreh- und Baugenehmigungen sind kostenlos. Selbst die Armeeführung ist engagiert und kommandiert Soldaten samt Jeeps und Maschinengewehren für Filmaufnahmen ab.
Das Land profitiert zurzeit vor allem von der neuen Lust an monumentalen Historien-Spektakeln. Längst lassen die TV-Sender lieber selbst produzieren, als die Rechte an teuren Kinofilmen zu erwerben, denn die gibt es zumeist nur im Paket mit drittklassiger Ware. Die meisten der aufwendig gemachten Fernsehfilme erreichen traumhafte Quoten - und das, obwohl sie uralte Geschichten erzählen. So erzielten auch "Arche Noah" und "Cleopatra", beide von Robert Halmis Hallmark Entertainment produziert, 1999 und 2000 in Deutschland zwischen 19 und 29 Prozent Marktanteil.
Der Kölner Sender RTL, der beide TV-Filme koproduzierte und den Vertrag mit dem Amerikaner bis Ende 2003 verlängert hat, glaubt an die Kraft des Bekannten: "Der Erfolg liegt daran, dass die Geschichten eben nicht neu sind", so RTL-Sprecherin Anke Eickmeyer, "die Zuschauer kennen die Mythen zwar, aber nicht gut genug. Darum schalten sie ein."
Der finanzielle Rahmen der Fernsehfilme ist natürlich enger als der von Kinoproduktionen. So standen Robert Halmi, dem weltweit größten unabhängigen Produzenten von TV-Movies (SPIEGEL 47/1999), vergleichsweise bescheidene 30 Millionen Dollar für den pompösen Zweiteiler "Cleopatra" zur Verfügung. Der Unternehmer ließ in Marokko drehen und hatte so nicht nur genügend Geld, um das alte Rom wieder aufzubauen und 20 000 Statisten aufm*****ieren zu lassen, sondern konnte auch noch halbwegs bekannte Schauspieler wie Ex-Bond-Darsteller Timothy Dalton bezahlen.
Doch der Boom könnte ebenso schnell wieder beendet sein, wie er begonnen hat. "Wird es irgendwann doch teurer", schildert Produktionsleiter Roberto Giussani achselzuckend die Branchenpolitik, "zieht die Karawane eben weiter."
Dass dieses Schicksal seinem Land widerfahren könnte, mag Mohamed Asli nicht glauben. Und wenn es doch mal so kommt? Der Geschäftsmann lacht und zeigt auf das falsche Jerusalem auf dem Hügel: "Dann bringen wir eben die Touristen hierher, und aus Ouarzazate wird ein gigantischer Freizeitpark."
FENJA MENS
© DER SPIEGEL 15/2001
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