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Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19375
08/03/02 11:23 AM
08/03/02 11:23 AM
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Les petites bonnes
Von sieben Uhr früh bis elf Uhr nachts: Schon mit fünf Jahren werden in Marokko Mädchen von ihren Eltern als Dienstmädchen in die Stadt geschickt. Gegen diese Form der Kinderarbeit richtet sich jetzt eine Anzeigenkampagne der Hilfsorganisation Insaf
von KATRIN SCHNEIDER

"Er geht zur Schule. Sie nicht." - So steht es über zwei Bildern einer großformatigen Anzeige, die seit Monaten in der marokkanischen Presse geschaltet wird. Auf dem linken Bild sieht man einen Jungen mit seinem Schulranzen auf dem Rücken, auf dem rechten ein Mädchen, das zwei offensichtlich schwere Eimer trägt. Auch wenn sie nur von hinten zu sehen sind: Beide sind eindeutig Kinder im Grundschulalter. Unter den Bildern liest man in großen Buchstaben: "Sie können dazu beitragen, dass sich diese Situation ändert."

Die Anzeigen sind Teil einer Sensibilisierungskampagne der in Casablanca ansässigen Hilfsorganisation für Frauen in Notlagen Insaf, mit der diese auf ein soziales Problem aufmerksam machen möchte, das vor einigen Jahren in Marokko noch als Tabuthema galt und nicht öffentlich diskutiert werden konnte: das Problem der petites bonnes. Darunter werden schulpflichtige Mädchen unter 15 Jahren verstanden, die als Dienstmädchen in privaten, vorwiegend städtischen Haushalten arbeiten und dort auch wohnen. Wohnen bedeutet, einen Schlafplatz in der Küche zu haben oder auf dem Boden im Kinderzimmer zu schlafen, neben den Betten der Kinder ihrer Arbeitgeber, auf die sie tagsüber aufpassen sollen.

Aufmerksame Beobachter erkennen sie sofort: Es sind die Mädchen, die schon vor sieben Uhr morgens auf den noch leeren Straßen der großen Städte unterwegs sind, um ein frisches Baguette zum Frühstück zu kaufen, oder die am späten Abend losgeschickt werden, um Minze für den Tee zu besorgen, weil unerwarteter Besuch gekommen ist. Man erkennt sie an der Kleidung, die häufig zu groß oder zerschlissen ist, an ihren Schürzen und an ihren Tüchern, die locker um den Kopf gewickelt sind und nichts mit denen zu tun haben, die andere Frauen aus religiösen Gründen tragen. Der Kontrast zur Kleidung der Kinder ihrer Arbeitgeber springt besonders dann ins Auge, wenn ein Dienstmädchen Seite an Seite, meist um ihnen die Taschen zu tragen, mit den manchmal gleichaltrigen Kindern zur Schule läuft, an deren Pforte es jedoch umkehren muss, um sich dem täglichen Arbeitspensum zu widmen, dem Einkaufen, Wäschewaschen, Kochen und Putzen, kurz: der sozialen Reproduktionsarbeit für die Dienstherren.

Damit ermöglicht es die Berufstätigkeit der Arbeitgeberin, denn obwohl die Frauenerwerbstätigkeit in Marokko in den letzten 30 Jahren deutlich zugenommen hat, hat sich die Arbeitsteilung im Haushalt nur geringfügig geändert: Hausarbeit und die Sorge für die Kinder bleiben Frauensache. Mangels ausreichender sozialer Infrastruktur in Form von Kindergärten und Betriebskantinen ist für die meisten berufstätigen Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nur mit Hilfe anderer Frauen möglich, entweder weiblichen Verwandten oder eben Hausangestellten, die sie von ihrem eigenen Gehalt bezahlen, als Preis für das Ausbrechen aus traditionellen Rollen, sei es aus emanzipatorischen Bestrebungen oder schlicht aus ökonomischer Notwendigkeit. Da die Löhne der meisten erwerbstätigen Frauen gering sind und Industriearbeiterinnen häufig genug nicht einmal den offiziellen Mindestlohn erhalten, bleibt als Ausweg nur die Beschäftigung eines möglichst jungen Mädchens, denn der Verdienst der petites bonnes steigt mit ihrem Alter.

Wie viele Mädchen unter 15 Jahren als Dienstmädchen in Marokko arbeiten, ist unklar, da die Arbeitsverhältnisse in diesem Segment des informellen Sektors statistisch nicht erfasst werden können. Schätzungen gehen von Größenordnungen zwischen 70.000 und 200.000 betroffenen Kindern und Heranwachsenden aus. Eine im letzten Jahr vom Planungsministerium in Auftrag gegebene Studie beziffert die Zahl der petites bonnes allein für den Großraum Casablanca auf 23.000. Die Mädchen stammen zum überwiegenden Teil aus kinderreichen Familien vom Land und werden von ihren Eltern häufig bereits im Alter von 5 Jahren zum Arbeiten in eine der großen Städte geschickt. Historisch hat dies eine lange Tradition: Vor der Unabhängigkeit Marokkos schickten die Pächter auf dem Land eine ihrer Töchter als Lehrling in die Familie des Landbesitzers, damit diese in der Stadt die traditionellen weiblichen Fertigkeiten lerne. Erst nach der Unabhängigkeit wurden aus diesen klientelistischen Beziehungen zunehmend Lohnarbeitsverhältnisse zwischen Frauen unterschiedlicher sozialer Schichten und Generationen. Die marokkanische Soziologin Fatima Mernissi spricht in diesem Zusammenhang von einer Dichotomisierung der Welt der Frauen.

Heute sind die Eltern der Mädchen aus materieller Not gezwungen, ihre Töchter in städtischen Familien arbeiten zu lassen, mit denen sie häufig nicht einmal mehr eine gemeinsame Herkunft oder verwandtschaftliche Beziehungen verbindet. Denn in den letzten Jahren ist eine immer stärkere Kommerzialisierung der Vermittlung von Angebot und Nachfrage zu beobachten, die zunehmend von Mittelsmännern oder -frauen übernommen wird. Wie hoch der materielle Druck der Herkunftsfamilien ist, zeigen die Ergebnisse einer nationalen Haushaltserhebung von 1998/99, die belegen, dass die Armut auf dem Land in den letzten Jahren wieder massiv zugenommen hat, nachdem es in den 80er-Jahren deutliche Verbesserungen gegeben hatte. Demnach sind 27,2 Prozent aller ländlichen Haushalte als arm einzustufen, und ein sehr viel höherer Prozentsatz lebt nur geringfügig oberhalb der Armutsgrenze. Verursacht wurde die Verschärfung der Armutssituation auf dem Land unter anderem durch die Dürreperioden der 90er-Jahre, die zu einem strukturellen Problem für die stark von Niederschlägen abhängige marokkanische Landwirtschaft geworden sind. Durch die Vermittlung einer oder mehrerer Töchter in einen städtischen Haushalt wird der ökonomische Druck auf zweierlei Weise gemindert: Zum einen entfallen Ausgaben für den Unterhalt der Kinder, zum anderen wird das Haushaltsbudget durch zusätzliche Einkommen aufgebessert. Denn die Gehälter der Mädchen, die weit unter dem offiziellen Mindestlohn liegen, werden in den meisten Fällen direkt von ihren Eltern kassiert und machen zwischen 20 und 80 Prozent des monatlichen monetären Einkommens der ländlichen Haushalte aus.

In einer der wenigen Studien, die in den letzten Jahren versucht haben, die Lebenssituation der petites bonnes zu beleuchten, gaben 77 Prozent der interviewten Mädchen an, nie in eine Schule gegangen zu sein. Sie reihen sich somit ein in die große Zahl der Analphabetinnen - nach Angaben der Vereinten Nationen gehören dazu 66 Prozent aller marokkanischen Frauen über 15 Jahre - und bleiben ihr Leben lang in einem Teufelskreis der Armut gefangen. An diesem Punkt setzt die eingangs erwähnte Kampagne von Insaf an: Die Organisation beruft sich auf die gesetzlich vorgeschriebene Schulpflicht für alle Kinder im Alter zwischen 6 und 15 Jahren und fordert zur Akzeptanz dieses Gesetzes auf. Die Legitimation, Mädchen unter 15 Jahren als Dienstmädchen zu beschäftigen, wird in dieser Kampagne also nicht grundsätzlich in Frage gestellt, solange ein Arbeitgeber seiner Angestellten den Schulbesuch ermöglicht.

Die Frage des Schulbesuchs stellt jedoch nur ein Teilproblem dar. Über zwei Drittel der 450 in der Studie befragten Mädchen gaben an, dass sie bereits vor 7 Uhr morgens aufstehen und erst nach 23 Uhr ins Bett gehen. Das bedeutet Arbeitstage von fast 16 Stunden, meist 7 Tage die Woche. Nur 19 Prozent hatten einen freien Tag in der Woche oder zumindest einen im Monat. Die Auswirkungen dieser ausbeuterischen Arbeitsbedingungen auf die physische und psychische Gesundheit der Mädchen sind beträchtlich. Verschiedene linke Frauenorganisationen machen sich seit Jahren zu Anwältinnen der Dienstmädchen und weisen auf das Fehlen jeglicher Absicherung hin, was dadurch verstärkt wird, dass die Arbeit weitgehend unsichtbar und ungeschützt in privaten Haushalten stattfindet.

Die progressiven Frauenrechtlerinnen fordern die Aufnahme von Regelungen hinsichtlich Zeiten, Mindestlöhnen und Urlaubsansprüchen in das Arbeitsgesetz, dessen Reform schon seit längerem auf der politischen Agenda steht, bislang allerdings ohne sichtbare Fortschritte.

Ein Erfolg war die Aufnahme einiger Bestimmungen zum Schutz von Dienstmädchen in den von Regierung und Zivilgesellschaft erarbeiteten Nationalen Aktionsplan zur Integration von Frauen in den Entwicklungsprozess, der jedoch nach heftigen Protesten von Seiten konservativ-islamistischer Kräfte, die einige vorgeschlagene Änderungen des Familienrechts betrafen und ihren Höhepunkt in einer Großdemonstration in Casablanca im März 2000 fanden, wieder in der Schublade verschwunden ist.

Die Regierung unter Premierminister Youssoufi betrachtet die Thematik der petites bonnes dennoch weiterhin als großes soziales Problem. Immer häufiger wird in den letzten Jahren in den Medien von Mädchen berichtet, die von ihren Arbeitgeberinnen schwer misshandelt und im schlimmsten Fall zu Tode geprügelt wurden. Und auch sexueller Missbrauch bis hin zu Vergewaltigungen sind keine Einzelfälle. Werden die Mädchen schwanger, so landen sie mit ihrem Kind auf der Straße oder im schlimmsten Fall sogar im Gefängnis, denn ein uneheliches Kind zu bekommen gilt in Marokko als Prostitution und ist strafbar. Berichtet wurde in den Medien auch über einige spektakuläre Selbstmorde von Dienstmädchen, die auf diese Weise einer für sie ausweglos scheinenden Situation ständiger Demütigungen und Misshandlungen ein Ende bereitet haben.

Für das erst seit der Regierungsumbildung im August 2000 existierende Teilministerium für Frauenangelegenheiten, Schutz von Familie und Kindern sowie die Integration von Behinderten, das dem Arbeits- und Sozialministerium zugeordnet ist, waren die Medienberichte Anlass genug, in seiner landesweiten Kampagne gegen Gewalt gegen Frauen auch die Misshandlungen von Dienstmädchen zu thematisieren. Mit finanzieller Unterstützung der Unicef, des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, wurden zwei Fernsehspots produziert, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden und die Bevölkerung sensibilisieren sollen.

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Die Autorin ist entwicklungspolitische Gutachterin und promoviert über das Thema ihres Artikels
taz Nr. 6695 vom 8.3.2002, Seite 23, 345 Zeilen (TAZ-Bericht), KATRIN SCHNEIDER


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Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19376
16/03/02 11:17 PM
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Haben nicht immer schon und überall auf der Welt, die Reichen auf Kosten der Armen gelebt, die Starken die Schwachen ausgenutzt und missbraucht. Nicht das ich diese äußerst wichtige Thematik in ihrem Problemgehalt verharmlosen will, keinesfalls. Und ich würde auch gerne ganz viel dazu schreiben, jedoch hab ich im Moment nicht genug Zeit. Nach dem Urlaub...Möchte vorab aber schon mal eines anmerken: vor mehr als 10 Jahren, als ich noch gar nichts mit MA zu tuen hatte, hat meine Freundin in der Nähe von Rabat einen Agrarwissenschaftlichen-Forschungsauftrag zum Zwecke ihrer Promotion durchgeführt. Deswegen hat sie 3 Jahre dort gelebt und sie hatte auch eine relativ junge bonne. Ich hab nur den Kopf geschüttelt und gesagt, ich glaub ich spinne, du bist ganz allein, hast kaum was im Haushalt zu tuen und leistest dir ne "Haushälterin", ich bin genauso vollerwerbstätig, hab auch nen anstrengenden Job, hab nen 4 Personen-Haushalt, Kindererziehung und mir hilft kein Mensch. - Sie sagte mir darauf hin, man hätte ihr solange die Bude eingerannt, bis sie eine Bonne eingestellt hätte. Sie hätte gar keine Wahl gehabt, obwohl sie eben auch der Meinung war, niemandenzu brauchen.

Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19377
17/03/02 03:01 AM
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Süd-Baden
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Hallo zusammen,

die Situation ist schlimm, und man kann nur hoffen, dass die Mädchen in fürsorgliche Familien kommen.
Vergessen sollte man aber in Marokko nicht, dass diese Situation ein Land nachhaltig verändert.
Wenn 27% der ländlichen Bevölkerung Ihre Mädchen hergeben müssen, dann wächst da eine Generation heran, die später durch ihre Einstellungen einiges verändern wird.
Man muss nur mal sehen, was der Hunger nach dem 1.Weltkrieg für Folgen hatte. Nicht umsonst kamen nach dem 2.Weltkrieg die Carepakete.
Mein Grossvater mit seinen Geschwistern hatte nach dem 1. Weltkrieg aufgrund der herrschenden Armut ein ähnliches Schicksal.
Keiner von Ihnen hat es später geschafft eine Familie mit Herz aufzubauen. Sie kannten nur arbeiten. Und das hat sich bis heute so fortgesetzt. Der Familiensinn ist in dem ganzen Familienzweig abhanden gekommen.
Ich hoffe Marokko erkennt das früh genug und tut was dagegen.
Dass es die Petite Bonne schon immer gab ist klar, aber dass sich das durch die Dürre in den 90ern so erhöht hat, ist arg bedenklich.

Viele Grüsse


give peace a chance.

Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19378
17/03/02 07:06 PM
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Hallo,

dass auf wohlhabendere Leute, bzw. Europäerinnen Druck ausgeübt wird eine Haushälterin zu nehmen, habe ich aus anderen Ländern auch schon gehört. Es muss ja auch grundsätzlich nicht falsch sein jemanden einzustellen und /ihm/ihr damit einen Arbeitsplatz zu geben. Wichtig ist, dass die Arbeitsbedingungen stimmen: Angemessene Arbeitszeiten zu angemessener Bezahlung, keine Kinderarbeit, Möglichkeiten Fortbildungsmaßnahmen wahrzunehmen etc. - ich denke darum geht es bei der Kampagne auch. Ich finde die Kampagne jedenfalls sehr gut und ein Zeichen dafür, dass sich in Marokko einiges bewegt.
Grüße, Elke

Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19379
23/03/02 08:39 PM
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Hallo, alle miteinander!

Ich habe einen Bericht einer norwegischen Forschungsstiftung(Fafo) zum Thema "kleine Hausmädchen/petites bonnes" gefunden. Hier eine Übersicht über den Bericht(Ich habe den Bericht selbst nicht gelesen):

Tone Sommerfelt (ed.)
Domestic Child Labour in Morocco
An analysis of the parties involved in relationships to “Petites Bonnes”
ISBN 82-7422-352-7
2001 82 p NOK 182,-
Many of the maids who work in households in Moroccan cities and town are young girls. This report is an analysis of the phenomenon of “small maids”, or “petites bonnes”, in Morocco, in a child labour perspective. Drawing on survey data, and anthropological and qualitative research techniques, the report describes the extent, social organisation, and economic contexts of child domestic labour in Morocco. By focusing on the views and opportunity situations of parents, employers, middlemen, and young girls themselves, the social relationships that shape the living- and working conditions of “small maids” are analysed. In a final chapter, possible interventions in these relationships are assessed.
The report is the outcome of a study funded by Save the Children-UK.
Contents
List of Tables
Preface
Executive Summary
Résumé
1 Introduction
Background
Focus and Approaches
Sources of Data and Research Techniques
A Social Organisation of Petites Bonnes
Chapter by Chapter
2 The Demography of Petites Bonnes in Morocco
Petite Bonnes and the Census Data
A Note on Education
The Demographic Dynamics of Petites Bonnes
3 Petites Bonnes and Their Parents: Experiences and Motivational Factors
Methodology
What is a Petite Bonne?
Petites Bonnes: A Brief Profile
Parents’ Decisions, Girls’ Manoeuvres
“Like a fire in the heart”: Parents of Petites Bonnes
How Girls are Recruited: Middlemen and Samsar(a)s
A Brief Comment on Experiences by Employers
In Conclusion: Acts and Responses by Employers, Parents, and Girls
4 Conclusions and Consequences
Altering Opportunities of Parents, Employers and Girls
Appendix: The Principal Laws and Rules
References

Mich wundert etwas, dass sich ausser Mohammed, bisher nur Frauen, die aus Deutschland stammen, für dieses Thema interessieren zu scheinen. Ich frage mich zum Beispiel auch, wie es den kleinen Mädchen allein von der sprachlichen Verständigung her in den Städten ergeht? "Die Mädchen stammen zum überwiegenden Teil aus kinderreichen Familien vom Land und werden von ihren Eltern häufig bereits im Alter von 5 Jahren zum Arbeiten in eine der großen Städte geschickt", steht in dem obigen Bericht der TAZ. Eine Fünfjährige die Tamazight spricht als Hausangestellte in einer arabisch sprechenden städtischen Familie? Oder sehe ich das falsch?

Mich interessiert aber auch immer noch, was ich schon unter dem Thema "Kinder in Marokko" im Forum "Andere Themen" gern wissen wollte:

"Meine Frage an Euch ist, ob Euch diese kleinen Hausmädchen in Marokko schon mal begegnet sind? Mich würde auch interessieren, ob das Thema "petites bonnes" unter Euren marokkanischen Freunden, Bekannten oder Verwandten diskutiert wird?
Oder ist es so tabu, dass offiziell kaum jemand etwas darüber weiss?"

Gruss von Anna

Last edited by Marokkoforum; 22/09/09 12:27 AM.
Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19380
23/03/02 08:59 PM
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es ist wohl so, dass wir in marokko jedes problem thematisieren können. aber, ersteinmal: warum sollen mädchen, die keine chance irgendeiner ausbildung haben, nicht als hausmädchen arbeiten? eine andere frage ist die der ausbeutung, des sexuellen missbrauchs (ja, auch das!). ein land, dass eine so hohe arbeitslosigkeit hat, lässt eine wahl überhaupt nicht zu: die wahl, zur schule zu gehen oder zu arbeiten.ein kind, das zur schule geht, kostet geld.und ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: es ist ein kleines unglück in marokko, ein mädchen zur welt zu bringen.dieses mädchen kostet geld und wird die familie eines tages kaum unterstützen können.

sorgen wir endlich dafür, dass der nord-süd-konflikt aus der welt kommt. europa muss mit marokko verträge auf allen ebenen schliessen. wir waren die kolonialisten dieser länder. dass wir erst jetzt begreifen, dass wir einen preis bezahlen müssen..kommt sehr spät und ist sehr schmerzlich.

ich mag krokodilstränen nicht so ganz gern...die fehler des 19. jahrhunderts, und unser reichtum, der sich auf diesen "fehlern" - auch - gründet, wird uns zur schmerzenden wunde.

warum eigentlich nicht?

rolf

Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19381
07/04/02 03:54 PM
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Hallo Anna, Simo, Rolf etc.
ich habe zwei der Petit Bonnes in einem marokkanischen Haushalt in Fes selbst erlebt und erst am zweiten Tag dort kapiert, was los ist. Erst dachte ich es wären Kinder der Familie.
Dort habe ich festgestellt, dass die Kinder gut gekleidet und ernährt waren und durchaus eine gewisse Zuwendung bekamen, jedoch bei weitem nicht so verwöhnt wurden wie die eigenen Kinder,keine Geschenke bekamen, sondern halt immer wieder mal was arbeiten mussten. Die Arbeit hielt sich in Grenzen, weil es ein moderner Haushalt mit Spülmaschine und allen Vorteilen eines westlichen Haushalts war. Die Mädchen mussten das Frühstück machen und das Geschirr wieder wegbringen, beim Kochen ein wenig helfen, aber für das Putzen und Kochen gab es Erwachsene.
Ich stehe diesem Thema sehr zwiespältig gegenüber, weil ich es auch für ein Verbrechen halte, kleine Kinder von zuhause rauszureißen und in fremde Familien zu geben. Jedoch war das bei uns (Bayern, Tirol. Südtirol) bis ca. 1930-1940 in den Bergdörfern genauso üblich, die Kinder wegzugeben. Erst mit dem Tourismus und dem Wohlstand der damit in die Dörfer kam, änderte sich die Situation. In Marokko kostet in den Augen der Väter ein Mädchen nur Geld, d.h. wenn ich kein Geld habe, muss das Mädchen das Geld, das es kostet verdienen. Zuhause müsste das Kind sicher genauso schuften, womöglich mehr und mit weniger Komfort, aber es bekäme zumindest von der Mutter die Zuwendung die es braucht. Im Weltspiegel-Report war zu sehen, dass den Vätern und auch den Famlien, die kleine Mädchen beschäftigen das Unrechtsbewußtsein abgeht. Denn die Meinung herrscht vor, dass es den Kindern in den reichen Familien doch gut geht. Das mag für manche zutreffen, aber viele auch nicht. Das ist genauso zwiespältig wie der Handel mit Kleinkindern zur Adoption, z.b bei rumänischen Kindern. Einerseits erwartet die Kinder meist ein besseres Los als in ihren Heimatländern, andererseits handelt es sich um Kinderhandel und mit der Not der Familien wird ein Geschäft gemacht. Das ist bei den petit bonnes nicht anderes.
Rolf hat schon recht, wenn er dafür eintritt das Nord-Süd-Gefälle abzubauen. Der Kampf gegen das Ungleichgewicht ist nötig, sonst werden die Unterschiede immer größer.
Vergessen dürfen wir auch nicht, dass es in 70% derLänder der Welt und auch in Marokko selbstverständlich ist, dass Kinder mitarbeiten. Sei es in der Familie oder im Handwerksbetrieb, im Haushalt oder auf dem Feld. Unsere westliche Idylle, dass Kindheit aus spielen und Schule (also lernen) besteht, gibt es woanders nicht. In der dritten Welt heißt Lernen für die Armen nicht Schule, sondern Lernen durch Mithilfe in der Bewältigung des Alltags , sprich den Lebensunterhalt der Eltern mitzusichern. Die harmloseste Form dabei ist dann die Mithilfe in der Landwirtschaft oder im Handwerks- oder Handelsbetrieb der Eltern oder im Haushalt. Die schlimmste Form ist die Kinder zum Betteln zu schicken oder gar ganz wegzugeben oder die neueste und widerwärtigste Form ist die Kinderprostitution. Diese läuft verdeckt und unter der Hand über Vermittler, die die Kinder zu ihrer häufig westlichen Kundschaft bringen und daran verdienen. Auch die Behörden verdienen mit, in dem sie einfach die Augen zu machen und mitkassieren. Ich habe so etwas aus glaubhaften Kreisen als gang und gäbe gehört und da einzuschreiten wäre noch viel dringlicher als bei den "petit bonnes". Auch Buben werden schon mit 8 Jahren in einen Handwerksbetrieb zur Lehre gegeben, das ist Tradition wenn jemand ein Handwerk lernen will und niemand stört sich daran. Kinderarbeit gehört in Marokko anch wie vor zum Alltag.

Re: Les petites bonnes-"Er geht zur Schule. Sie nicht." #19382
08/04/02 03:46 PM
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liebe Anna,

wie bei tamazight woadners in diesem forum möchte ich mich hier gegen eine polarisierende auseinandersetzung mit einem brisanten thema der marokkanischen gesellschaft ausdrücken. grund scheint mir der gesamte beitrag der taz-autorin sowie deine, wie ich finde, interessante bemerkung:

>> Mich wundert etwas, dass sich ausser Mohammed XXXXXXX, bisher nur Frauen, die aus Deutschland stammen, für dieses Thema interessieren zu scheinen.

der beitrag der taz-autorin ist relativ eindeutig aus einer feministischen sicht verfasst worden. der grund dessen, was du hier anmerkst, mag vielleicht darin liegen, daß marokkaner und marokkanerinnen in bezug auf das thema (noch) eine gesamtgesellschaftliche sicht der dinge bevorzugen, und sich von einer tranchierenden behanldung nicht angesprochen und infolge dessen auch nicht interessiert fühlen.

in diesem forum gibt es noch ganz frische beiträge über den film Ali Zaoua. ich hoffe du hast ihn gesehen, denn er ist ein wunderbarer film - professionnel, künsterlisch sowie handwerklich von hohem internationalem rang. zentralthema dieses meisterwerks sind die kinder, die aus den verschiedensten gründen auf der strasse landen, dort leben und einem harten und tragischen schicksal ausgesetzt werden: körperlicher und seelischer gewalt, vergewaltigung, vertreibung, obdachlosigkeit, schmutz, erniedrigung, tod (der held des films wird am anfang der geschichte schon getötet!) und anderen härten des wilden und grausamen strassenlebens.

in diesem film sind alle helden ausnahmslos jungen. (mittlerweile beobachtet man - vielleicht zur freude einiger feministinnen - zunehmend auch mädchen in den reihen dieser *chemkara*, wie die strassenkinder im marokkanishen westen heißen). dies wird jedoch nicht an sich und nicht im vordergrund thematisiert.

die strassenkinder sind die opfer nur eines 'segmentes' der gesellschaft. man braucht nur einen spaziergang in der stadt oder auf dem land zu machen, um jungen bei der arbeit, überall, im handwerk, in werkstätten, im handel, als autowäscher, zigaretten- und taschentuchverkäufer, als gehilfen auf dem land usw. zu beobachten. der rücken krum, die hände rauh, die augen traurig, unterernährt, dreckig und in gerissenen klammoten reiben sie oder machen sie von morgens früh bis abends spät, endlos und seelenlos an irgendeinem gegenstand herum. zärtlichkeit, gute behandlung, würde, sind begriffe eines fernen planeten.

selbst wenn über ihre situation hin und wieder berichtet wird, wird das geschlecht bei den jungen abstarhiert, ganz besonders wenn westeuropäerinnen von alternativen, dem feminismus nahestehenden und fördernden kreisen, sich an die analyse und an das berichten machen, wie hier der fall von der taz-autorin.

wir wollen die schiksale der geschlechter dieser unschuldigen wesen nicht miteindander vergleichen und einer polarisierenden sichtweise nicht auch noch selbst zum opfer fallen, aber wenn man das ganze bild, oder vielleicht besser gesagt mit beiden augen sehen will (das hat Erika Därr oben wirklich gut gemacht, danke!), dann sind die jungen auch nicht besser dran [wie viele von ihnen würden davon träumen, das frische baguette nur kurz zu riechen und zu berühren!], und wenn man der gesellschaft einen dienst erweisen will, dann soll man sich dafür einsetzen, daß die situation der kinder insgesamt, nicht nur die der mädchen und nicht nur die der jungen verbessert wird.

wenn man das so sieht und das andere auge aufmacht, dann kann man den satz der kampagne "Er geht zur Schule. Sie nicht." schon mal in den folgenden "die Eine geht zur schule. die Andere nicht.". bzw. noch besser in diesen "die eineN gehen zur schule. die andereN nicht" umwandlen.

die marokkaner interessieren sich für das problem ihrer kinder. sie diskutieren und besprechen es, so schlecht und so recht, wie sie auch eine vielzahl anderer themen behandeln. nicht nur der film von nabil ayouch ist ein zeugnis dafür, sondern auch viele assoziative aktivitäten widmen sich dem thema der straßenkinder, der waisen und der dienstmädchen. nur, wie bei vielen anderen problemen, haben die marokkaner auch hier - trotz einiger guter ergebnisse - keine glänzenden lösungen gefunden.

wallahou a3lam :),

gruß


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