Nochmal ich.
Kannst ja schon mal anfangen davon zu träumen, beim Atai trinken......
DAS MAGAZIN 45/2014
Von CHRISTIAN SEILER
André Heller trägt ein rotes T-Shirt mit einem Motiv von einer
Matisse-Ausstellung im MoMA, dunkle Chinos, deren Enden
er vorsorglich umgeschlagen hat, und militärgrüne Sneakers
von New Balance, an denen bereits rote Erde des Gartens klebt.
Die marokkanische Sonne sticht vom Himmel, obwohl es erst
zehn ist, und Heller hat als Schutz gegen die UV-Strahlen ein
helles Tuch mit drei Knoten so am Kopf befestigt, dass seine
sonst makellos gepflegten weissen Locken nicht zu sehen sind.
«Gehen wir», sagt Heller und läuft abrupt los, den Kopf ent
schlossen nach vorn gereckt.
Wir verlassen die Familiensiedlung, die Heller hier in die Wüste gestellt hat, ein Dorf, das dem
österreichischen Sänger, Dichter und Kulturunternehmer in
seinem letzten Lebensabschnitt – Heller ist 67 – Heimat fern der Heimat sein soll.
Die Häuser stehen wie eine Elefantenherde in der Landschaft, und diese Landschaft ist die eigentliche Attraktion, der
«Widerhaken», an dem Heller schliesslich hängen geblieben
ist. Er kommt seit mehr als 35 Jahren mindestens einmal im
Jahr nach Marrakesch, und die Idee, hier ein Haus zu bauen,
reizte ihn seither.
Das elf Hektar grosse Grundstück, das wir umschreiten,
war früher einmal eine Rosenfarm. Dann verkümmerte der Ort,
und als Heller ihn schliesslich kaufen konnte, sah es aus wie ein Tennisplatz:
rote, bretterebene Erde, etwas kümmerliches Unkraut, das aus irgendwelchen Ritzen wuchs.
Über dem Land lag der spezifische Geruch von Staub, aber Heller war trotzdem begeistert –
Begeisterung ist sein bevorzugter Arbeitsmodus.
«Wenn es klar ist, sieht man dort hinten den Atlas», sagt
Heller und deutet, ohne stehen zu bleiben, nach Süden, wo die
Ebene in Schleier aus Dunst übergeht.
«Die Berge sind über 4000 Meter hoch. Du siehst die Struktur der Felsen.
In den Gipfelregionen liegt Schnee, und der Schnee leuchtet wie ein Bild von Jeff Wall ...»
Heller braucht die Kunst, um die Natur zu erklären. Er mag
Natur, die gezähmt ist, von Menschenhänden geformt.
Das Palmenhaus in Schönbrunn befeuerte die Kindheitsträume des
kleinen Jungen aus dem Nobelbezirk Hietzing, und im «Lied vom
idealen Park» formulierte er 1985 bereits die Theorie dessen,
was er nun, fast dreissig Jahre später, in die Tat umsetzt:
Unseren schönen Wahn zu preisen
Will ich einen Park anlegen,
als Gehege deiner Gesten,
als botanisches Gedicht.
Durch eine kleine Pforte verlassen wir den Teil des Gartens,
den Heller privat behalten möchte, und betreten den «botanischen Garten» – das Herzstück des Areals, das Heller «Anima»getauft hat.
Hier nehmen Sehnsüchte Gestalt an.
«Diese Palme zum Beispiel ...»
Zu jeder Pflanze kann Heller eine Geschichte erzählen,
und das tut er auch. Er zeigt mir das tiefer gegrabene Karree,
in dem Rosen und orientalische Kräuter wachsen werden, um
ihren Geruch über die Wandelwege zu verströmen, führt mich
zu den Laubengängen aus Olivenbäumen, die sich erst auswachsen müssen, schreitet die Front aus Sukkulenten ab, die
er aus einer Kakteenfarm im Norden von Marrakesch bezieht
oder aus kolonialen Gärten, die der Stadterweiterung zum Opfer fallen.
Er investiert sein ganzes Geld in dieses Projekt, eine hohe
einstellige Millionensumme. Der Park wird öffentlich zugänglich sein. Die Häuser werden von Heller und seinen privaten Gästen bewohnt werden.
Ein Teil des Areals ist noch undefiniert, die Gärtner lassen dort ihre Schafe weiden.
Wir gehen im Zickzack entlang der vorgesehenen Wege,
Heller mit langen Schritten, Oberkörper und Hals leicht nach
vorn geneigt, die Antennen ausgefahren: Wo fehlt noch eine
Idee? Ein Akzent?
Der Mann möchte Spuren hinterlassen, vielleicht wie Yves
Saint Laurent, dessen Jardin Majorelle in der Stadt Marrakesch
längst Legende ist. Auf einem aufgeschütteten Hügel hat Heller aus Steinen ein symbolisches Auge gelegt, und zwischen den botanischen Arrangements blitzen die Plastiken und Kunstwerke hervor, die er bei Freunden und Zugewandten erworben hat: Statuen von Keith Haring und Roy Lichtenstein, Preziosen, die er im Souk zusammengetragen hat, figurative Attraktionen, die Heller selbst beisteuert.
In einem unverputzten Gebäude am Rand des Parks, das
ein Besuchercafé beherbergen wird, setzen wir uns auf zwei
Klappstühle. Im Schatten ist die Temperatur angenehm, und bis
auf das Klappern der Spaten auf der Baustelle ist es still. Aber es ist nicht ganz still. Man hört den Gesang von Vögeln, von vielen Vögeln.
Heller lächelt unter seinem Kopftuch hervor.
«Als ich zum ersten Mal sah, wie sich Vögel, Schwärme von
Vögeln hier niederliessen», sagt er, «musste ich mich schnäuzen, so berührt war ich.»
Er lässt den Blick über den Rasen gleiten, über die Gruppe
der Palmen, die Rosen, die Olivenbäume. Heller allein sieht,
was hier war, ist, sein wird. Der Grössenwahn des Projekts ist
ihm genauso bewusst wie die Tatsache, dass er es nicht mehr
erleben wird, wenn der Park so kräftig und ausgewachsen ist,
wie Heller ihn sich erträumt. Aber das ist okay für ihn. Das ist, sagt er, seine Vorleistung für die Ewigkeit.
«Gehen wir», sagt Heller. «Wir haben noch nicht einmal
die Hälfte gesehen.»
André Heller in seinem Garten «Anima» bei Marrakesch
Quelle:
http://blog.dasmagazin.ch/wp-content/uploads/2014/11/ma1445.pdf