UN in Gaza
„Wann es weitergeht, hängt an Israel“
Von Jörg Bremer, Tel Aviv


Wann wieder Hilfsgüter in den Gazastreifen geliefert werden können, ist ungewiss
09. Januar 2009 Die Hilfswerke der Vereinten Nationen wollen nach eigenen Angaben erst wieder ihre Transporte zu UN-Institutionen im Gazastreifen aufnehmen, wenn die Israelis einen „wirksamen Mechanismus der Koordination“ gefunden haben, „der es allen Soldaten eindeutig klar macht, dass sie nicht auf die markierten Fahrzeuge der Vereinten Nationen schießen dürfen“. Der Sprecher des UN-Hilfswerkes UNRWA, Chris Gunnes, sagte dieser Zeitung am Freitag weiter, wann das sein werde, „hängt von Israel ab“.

Am Donnerstag war nahe des Erez-Übergangs im Norden des Gazastreifens mit Kleinwaffen auf einen von drei Lastwagen in einem vermeintlich mit der Armee koordinierten Konvoi geschossen worden. Der Fahrer starb auf der Stelle. Zwei Begleiter wurden verletzt und nach Angaben des israelischen Notdienstes Magen David Adom in das Barzilei-Krankenhaus nach Beerschewa gebracht.

Während noch am Donnerstagabend eindeutig der israelischen Armee die Schuld gegeben wurde, ist inzwischen die Antwort auf die Frage nach dem Hergang nicht mehr so eindeutig.

Verantwortung liegt beim israelischen Militär

UNRWA-Sprecher Gunness beschuldigte unmittelbar, nachdem der Vorfall bekannt worden war, die israelische Armee. Am Freitag dementierte er dies und sagte abschwächend: Die von den UN angestellte Firma mit ihren Fahrern „hat uns deutlich gemacht, dass die Fahrer glauben, sei seien absichtlich von den Israelis beschossen worden“. Auf Nachfrage sagte er weiter: „Wie auch immer es gewesen ist, die eindeutige Verantwortung dafür, dass die Lastwagen fahren können und dass es eine effektive Koordination gibt, liegt beim israelischen Militär.“ Bis das geklärt sei, setzten die UN ihre Lieferungen aus.

Auch gibt es Vermutungen, nach denen die Hamas-Kämpfer auf ihre eigenen Zivilisten und Hilfskonvois schießen und den Israelis die Schuld zugeschoben werden soll. Ein Sanitäter von David Magen Adom, der die Beifahrer in dem UN-Lastwagen geborgen haben will, aber nicht genannt werden möchte, wird mit den Worten zitiert, nicht die Israelis, sondern Hamas-Scharfschützen hätten den Hilfskonvoi der UN unter Feuer genommen.


Ob es wirklich israelische Soldaten waren, die auf Lastwagen der UN geschossen haben, ist unklar
Der israelische Rundfunk meldete am Freitag, die radikale islamistische Palästinenserorganisation hätte aus dem Gazastreifen gezielt den Übergang Kerem Schalom in Süden beschossen, wo an einem der Terminals die Hilfslieferungen aus Israel an der Grenze warten, um umgeladen und in den Gazastreifen gebracht zu werden.

30 Menschen in „zivilem Schutzraum“ getötet

Der Anschlag auf den Lastwagen ist indes nur einer von mehreren Vorfällen, die zur Spannungen zwischen Israel und den Vereinten Nationen geführt haben. Da waren zudem die Schüsse der Armee auf ein Gebäude in Zeitung im Südosten des zentralen Gazastreifens. Das Einfamilienhaus war von der Armee am 4. Januar als „ziviler Schutzraum“ requiriert worden, und ein Trupp Infanteristen hatte 110 Personen aus einer beschossenen Enklave dorthin geborgen. Gleichwohl schoss die Armee Tags darauf mehrfach auf das Haus und 30 Personen wurden getötet.

Die UN-Hilfsorganisation Ocha wirft Israel vor, die Hälfte davon seien Kinder gewesen. Die Israelis hätten die Schutzsuchenden aufgefordert, in dem Haus zu bleiben, und so sei ihnen eine Maßnahme der Armee zur Falle geworden, heißt es. Die Überlebenden seien zwei Kilometer weiter geflohen, von wo aus sie mit privaten Fahrzeugen in einen Krankenhaus gebracht worden wären.

„Drei Kinder, das jüngste fünf Monate, starben noch nach Ankunft im Hospital“, heißt es im Ocha-Bericht über den Vorfall, der dort als einer der „am schwersten wiegenden Vorfälle“ seit Beginn der Offensive bewertet wird. Beim israelischen Militär heißt es dazu bisher nur, die „Vorwürfe werden von der Armee untersucht“.

UN beherbergt in Schutzräumen keine Hamas-Kämpfer

Ein dritter Vorfall waren die Schüsse auf eine Schule des UN-Hilfswerks UNRWA im Flüchtlingslager Dschabalija am vergangenen Dienstag. Die Schule war als Schutzraum für Flüchtlinge hergerichtet worden. Dabei wurden nach Angaben der Ärzte 40 Palästinenser getötet und etwa 50 verletzt.

Offiziell bleibt die Armee bei ihrer Erklärung, sie habe in Selbstverteidigung Granatenbeschuss vom Schulareal erwidert. UNRWA-Sprecher Gunness aber sagte nach einem Bericht der israelischen Zeitung „Haaretz“, in einem vertraulichen Lagebericht für Diplomaten habe ein Armeesprecher zugegeben, die Truppe sei nicht „aus der Schule“, sondern „von der Umgebung der Schule“ aus beschossen worden. Die direkten Schüsse auf die Schule seien mithin „unabsichtlich“ erfolgt.

Weiter sagte der UN-Sprecher demnach, darum seien die israelischen Vorwürfe falsch, nach denen die UN den Kämpfern der Hamas helfen, indem sie diese aus UN-Schutzräumen heraus schießen lässt.




Quelle: F.A.Z.