Krieg in Gaza
Notizen eines besorgten Elternpaares
Von Shira Geffen und Edgar Keret

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Zerstörter Kindergarten in Gaza
10. Januar 2009 In den Kindergarten unseres Sohnes gehen 22 Kinder, wobei es jetzt zur Grippezeit im Winter meist kaum 17 sind. Das entspricht genau der Zahl der Kinder, die vor kurzem in Gaza getötet wurden. Man kann also sagen, dass dort ein ganzer Kindergarten ausgelöscht wurde.

Seit Ausbruch des Krieges hat es viele Vorschläge an das Militär und die Politik gegeben, wie man diesen Krieg am besten führen sollte: Luftangriffe oder Bodentruppen, völliger Sturz der Hamas oder eine Zermürbungstaktik, um sie an den Verhandlungstisch zu holen. Und jetzt wollen auch wir dieser Flut an Vorschlägen und Strategien ein kleines Tröpfchen hinzufügen. Es hat nichts mit Warnungen an die Bewohner von Angriffszielen oder dem Einsatz ägyptischer Vermittler zur Aushandlung von Kampfpausen zu tun.

Wir haben lediglich einen Vorschlag an den Premierminister, von zwei Staatsbürgern, die ihn nicht mal gewählt haben: Wenn Sie auf einem Zettel alle politischen und militärischen Optionen auflisten, streichen Sie einfach diejenigen, bei denen die Gefahr besteht, Kindergärten auszuradieren. Das war’s auch schon. Alle anderen Optionen können auf der Liste bleiben, sollten ernsthaft abgewogen werden, und dann entscheiden Sie sich für das, was Ihnen am besten gefällt. Aber wenn irgendwo die Möglichkeit besteht, eine zweistellige Zahl an Kinden umzubringen, dann, bitte, Herr Olmert, zücken Sie den Rotstift. Auch wenn diese Option scheinbar die Zukunft von uns und unseren Kindern sichern könnte – oder gar den Frieden in Nahost.

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Wir haben noch Auswahl

Wir leben in einer der wohl blutigsten Gegenden der Welt, aber wir glauben, dass wir trotz aller Schwierigkeiten noch Auswahlmöglichkeiten haben. Und wir würden gerne für eine Zukunft entscheiden, die nicht auf den Leichen von Kindern gebaut ist, auch wenn es die Kinder unserer Feinde sind. Wir wissen, dass es naiv ist, so etwas zu sagen. Wir wissen auch, dass wir absichtlich von Wohnsiedlungen aus beschossen werden; wir sind uns darüber im Klaren, dass Kinder in Südisrael verletzt wurden und dass das Leben dieser Kinder den Hamas-Führern völlig egal ist.

Wir haben einfach nur einen dreijährigen Sohn, der jeden Morgen an unser Bett kommt und eine Flasche heißen Kakao trinken will. Und während er bei uns im Bett liegt, stellen wir uns vor, wie kalt und leer es ohne ihn wäre. Wir spüren dann, dass es niemals gerechtfertigt ist, Eltern um das Kind in ihrem Bett zu berauben. Klar, unsere Feinde denken nicht so wie wir, aber was soll’s? Unsere Feinde haben ja auch lange Bärte und rufen „Allah al-akhbar“. Aber wir haben schon von unseren Müttern gelernt, dass wir nichts Böses tun dürfen, nur weil Andere etwas Böses tun. Dieser Krieg ist nicht nur ein Krieg um unser Leben und um unser Land, es ist auch ein Krieg um unsere Identität. Sicher, unsere Beharrlichkeit könnte uns als Schwäche ausgelegt werden. Aber es wäre eine noch viel größere Schwäche, wenn wir uns von unseren Feinden die moralischen Grundsätze diktieren ließen, nach denen wir unser Leben ausrichten.

Sind wir abgehärteter?

Noch vor wenigen Jahren hat jedes gezielte Attentat, bei dem auch unschuldige Passanten ums Leben kamen, für eine Debatte gesorgt. Diese Woche wurden Hunderte Zivilisten bei Angriffen der Luftwaffe getötet, und es gab dabei nicht den Funken eines Zweifels. Es scheint, als ob sich Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz schrittweise verlagert hätten, so dass wir heute Dinge leichter hinnehmen, die noch vor ein paar Jahren nicht toleriert worden wären. Was bleibt, ist die Frage nach dem Warum. Ist die Sorge um unsere Existenz wirklich so viel größer als früher, oder sind wir einfach frustrierter und abgehärteter geworden?

Selbst wenn Herr Olmert die Güte hätte, uns zuzuhören, würde er wohl sagen, dass es immer leicht ist, vom Rande des Geschehens aus zuzuschauen und Kritik zu äußern, statt eine alternative Richtung vorzugeben. Wir wünschten, wir hätten ein Patentrezept für die Leiden im Nahen Osten, doch da wir keine großen Weisheiten anzubieten haben, müssen wir uns mit einer kleinen Weisheit begnügen. Einer sehr kleinen Weisheit in Gestalt eines Dreijährigen, der jeden Morgen zu einem ins Bett schlüpft. Das kann keine Antwort darauf geben, wo wir in zehn Jahren stehen. Aber es ist eine Erkenntnis darüber, wer wir heute sind.


Der Schriftsteller Etgar Keret und seine Frau, die Lyrikerin und Kinderbuchautorin Shira Geffen, leben in Tel Aviv. Till Krause übersetzte ihren Text.



Quelle: F.A.Z.