liebe Anna,

wie bei tamazight woadners in diesem forum möchte ich mich hier gegen eine polarisierende auseinandersetzung mit einem brisanten thema der marokkanischen gesellschaft ausdrücken. grund scheint mir der gesamte beitrag der taz-autorin sowie deine, wie ich finde, interessante bemerkung:

>> Mich wundert etwas, dass sich ausser Mohammed XXXXXXX, bisher nur Frauen, die aus Deutschland stammen, für dieses Thema interessieren zu scheinen.

der beitrag der taz-autorin ist relativ eindeutig aus einer feministischen sicht verfasst worden. der grund dessen, was du hier anmerkst, mag vielleicht darin liegen, daß marokkaner und marokkanerinnen in bezug auf das thema (noch) eine gesamtgesellschaftliche sicht der dinge bevorzugen, und sich von einer tranchierenden behanldung nicht angesprochen und infolge dessen auch nicht interessiert fühlen.

in diesem forum gibt es noch ganz frische beiträge über den film Ali Zaoua. ich hoffe du hast ihn gesehen, denn er ist ein wunderbarer film - professionnel, künsterlisch sowie handwerklich von hohem internationalem rang. zentralthema dieses meisterwerks sind die kinder, die aus den verschiedensten gründen auf der strasse landen, dort leben und einem harten und tragischen schicksal ausgesetzt werden: körperlicher und seelischer gewalt, vergewaltigung, vertreibung, obdachlosigkeit, schmutz, erniedrigung, tod (der held des films wird am anfang der geschichte schon getötet!) und anderen härten des wilden und grausamen strassenlebens.

in diesem film sind alle helden ausnahmslos jungen. (mittlerweile beobachtet man - vielleicht zur freude einiger feministinnen - zunehmend auch mädchen in den reihen dieser *chemkara*, wie die strassenkinder im marokkanishen westen heißen). dies wird jedoch nicht an sich und nicht im vordergrund thematisiert.

die strassenkinder sind die opfer nur eines 'segmentes' der gesellschaft. man braucht nur einen spaziergang in der stadt oder auf dem land zu machen, um jungen bei der arbeit, überall, im handwerk, in werkstätten, im handel, als autowäscher, zigaretten- und taschentuchverkäufer, als gehilfen auf dem land usw. zu beobachten. der rücken krum, die hände rauh, die augen traurig, unterernährt, dreckig und in gerissenen klammoten reiben sie oder machen sie von morgens früh bis abends spät, endlos und seelenlos an irgendeinem gegenstand herum. zärtlichkeit, gute behandlung, würde, sind begriffe eines fernen planeten.

selbst wenn über ihre situation hin und wieder berichtet wird, wird das geschlecht bei den jungen abstarhiert, ganz besonders wenn westeuropäerinnen von alternativen, dem feminismus nahestehenden und fördernden kreisen, sich an die analyse und an das berichten machen, wie hier der fall von der taz-autorin.

wir wollen die schiksale der geschlechter dieser unschuldigen wesen nicht miteindander vergleichen und einer polarisierenden sichtweise nicht auch noch selbst zum opfer fallen, aber wenn man das ganze bild, oder vielleicht besser gesagt mit beiden augen sehen will (das hat Erika Därr oben wirklich gut gemacht, danke!), dann sind die jungen auch nicht besser dran [wie viele von ihnen würden davon träumen, das frische baguette nur kurz zu riechen und zu berühren!], und wenn man der gesellschaft einen dienst erweisen will, dann soll man sich dafür einsetzen, daß die situation der kinder insgesamt, nicht nur die der mädchen und nicht nur die der jungen verbessert wird.

wenn man das so sieht und das andere auge aufmacht, dann kann man den satz der kampagne "Er geht zur Schule. Sie nicht." schon mal in den folgenden "die Eine geht zur schule. die Andere nicht.". bzw. noch besser in diesen "die eineN gehen zur schule. die andereN nicht" umwandlen.

die marokkaner interessieren sich für das problem ihrer kinder. sie diskutieren und besprechen es, so schlecht und so recht, wie sie auch eine vielzahl anderer themen behandeln. nicht nur der film von nabil ayouch ist ein zeugnis dafür, sondern auch viele assoziative aktivitäten widmen sich dem thema der straßenkinder, der waisen und der dienstmädchen. nur, wie bei vielen anderen problemen, haben die marokkaner auch hier - trotz einiger guter ergebnisse - keine glänzenden lösungen gefunden.

wallahou a3lam :),

gruß