Die Geschichte mit dem tollwütigem Hund

Unsere Hofhündin, die den bemerkenswerten Namen „Schneider“ trug, war unter diesem Namen bei allen Marokkanern im Umfeld bekannt.
Es war für die Menschen in dieser abgeschiedenen Region ja auch etwas absolut außergewöhnliches, dass ein Hund, nicht angekettet ist und frei herumlaufen konnte. Zudem folgte der Hund noch auf´s Wort. Wenn ich ins drei Kilometer entfernte Nachbardorf Ait Wazzaque fahren wollte um einzukaufen, sprang Schneider wie selbstverständlich mit ins Auto. Wollte ich ihn einmal nicht mitnehmen, dann lief er die Strecke zu Fuß querfeldein und war so vor mir am Ziel. Wenn er dann „voller Schadenfreude“ an der Türe zum Geschäft stand und von den Dorfbewohnern begrüßt wurde, wussten diese, dass auch ich innerhalb der nächsten Minuten eintreffen würde.
Nun hatte Schneider zwei Welpen, einen kleinen, wenige Wochen alt, einen anderen vom letzten Jahr. Ein wunderschöner Mischlingsrüde, gut kniehoch, mit einem Aussehen fast wie ein Golden Redriver. Ein edles Tier!
Aufgrund der recht hohen Tollwutrate in Marokko ist es unerlässlich, die Hunde jährlich impfen zu lassen. Dies wird kostenlos von der Landwirtschaftskammer in Beni Tajjite durchgeführt. Mohamed hatte den Dauerauftrag von mir, immer dann, wenn neue Welpen geboren werden, diese impfen zu lassen.
Leider wurde dem auf „ortsübliche Art und Weise“ nachgekommen.
Jedenfalls wurde der größere Welpen von Schneider genau so zutraulich und liebenswert, wie Schneider selbst.
Er fuhr mit mir in die Stadt und zu Bekannten. Kam ins Haus und leckte dort auch schon mal über einen Teller, der eigentlich zum Spülen bereit stand. Oftmals kamen auch Kinder aus den Nachbarorten zum Spielen mit den Hunden.
Als es immer Sommer heiß war, spielten die Kinder mit den Hunden. Das Spiel endete im Wasserbecken für Zwei.- und Vierbeiner.
Haarschamponwäsche galt ebenfalls für alle. Es war ein Riesenspaß für alle. Am Abend machten die Kinder sich auf den Heimweg. Rachid, der Verwalter von der Nachbarplantage hatte sich zum Abendessen angekündigt.
Said und ich bereiteten das Abendessen vor. Als Rachid eintraf, spielten wir, wie gewohnt, unsere Partie Schach während Said das letzte Gemüse in die Tagine einrührte. Zum Nachtisch hatten wir Milchreis vorbereitet. Die Milch die übrig war, wollte ich den Hunden vor der Türe in den Napf gießen. Gerade für Schneider, der einen kleinen Welpe hat, wäre dies eine gute Abwechslung, dachte ich mir. Die Hunde kamen sofort und schleckten die Milch aus.
Als ich ihnen den Rücken zu kehrte und in Haus eintrat, hörte ich ein Brummen und kurzes Beißen. Rachid fragte, was den mit den Hunden los sei. Die seien doch sonst so brav. Ich begründete das Knurren damit, dass ihnen die Milch so gut schmeckt und sie diese deswegen nicht teilen wollten.
Mit Rachid und Said saß ich bis spät in die Nacht zusammen, wir aßen und erzählten. Gegen Mitternacht machte Rachid sich mit dem Fahrrad auf den Heimweg. Die Essensreste gaben wir den Hunden. Da kam es wieder zu einer bis daher nicht gekannten kurzen Beißerei zwischen den beiden großen Hunden. Na, ja, dachte ich, „es ist der Knochen, den beide haben wollen“.
Wir gingen zu Bett und am nächsten Morgen fanden wir die Hunde in gewohnter Eintracht zusammen neben der Haustüre liegen. Das Frühstück nahmen sie gemeinsam ein und spielten anschließend wieder. Ich fuhr mit Said in die Stadt und kam nachmittags wieder.
Said rief mich und sagte, „kuck mal Thomas, was mit dem Hund los ist“. Der Rüde hatte ein Loch in den Boden gegraben und wohl auch mit der Schnauze dabei nachgeholfen. Seine Hundeschnauze klebte voller Erde. Said wollte ihn umgehend sauber machen. Er ging mit ihm zum Wasserbecken und spülte den Mund aus. Die Erde klebte bis an die Zähne.
Beim Abendessen gab es wieder Streit zwischen den Hunden. Es war wieder nur eine kurze Beißerei. Da dies zwar einerseits ungewohnt, andererseits aber in den letzten tagen häufiger vorkam, wollte ich feststellen, wer der Anfänger der Streitigkeiten war.
Während ich die Hunde beobachtete waren sie jedoch wieder friedlich wie gewohnt. Erst als ich im haus war, kam es wieder zu Zwischenfällen. So weit ich auf die Schnelle die Situation richtig erkennen konnte, war der Rüde es, der Schneider, angriff. Ich erklärte Said, dass dies wohl damit zusammenhängt, dass der junge Rüde die Führung übernehmen wolle und sich deswegen versucht sich gegen seine Mutter durchzusetzen.
Nachts hörte ich dann des öffteren kurze Auseinandersetzungen. Am nächsten tag kam der Rüde nicht zum Frühstück. Ich fand ihn neben dem Pumpenhäuschen schlafend. „Wer sich in der Nacht rauft, ist morgens müde,“ dachte ich. Durch Streicheln über sein Fell weckte ich ihn auf. Er nahm sein Frühstück normal ein, im Anschluß daran gab es jedoch wieder Beißereien. Ich lief dazwischen und schlug ihn auf´s Hinterteil, weil ich ihn jetzt eindeutig als Anstifter identifiziert hatte. Am Tag kamen verschiedene Arbeiter, die sich auch über die immer häufiger werdenden Beißereien wunderten. “Gebt ihm eins Hintendrauf, wenn ihr seht, dass er anfängt,“ ließ ich verlauten. Zum Mittag kam der Hund dann wieder nicht. Nachdem er auch auf meine Rufe nicht reagierte, suchte ich ihn. An seinen üblichen Plätzen war er nicht aufzufinden.. Stattdessen lag er unter einem Aprikosenbusch. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Es waren nicht nur die Beißereien, die mir zwischenzeitlich wieder zu denken gaben, sondern auch sein Allgemeinverhalten, ja gar sein Blick war verändert. Statt mit den gewohnt funkelnden Augen schaute er mich nunmehr mit einem merkwürdig, fast hinterlistig scheinenden Blick an.
Er fraß auch nicht mehr so viel. Isolierte sich von den anderen Hunden mehr und mehr ab.
Am Abend brachte Zeit den Hunden einige Brotreste raus. Dann kam es wieder zu einem Angriff auf Schneider. Said, der unmittelbar daneben stand, schlug ihn auf´s Hinterteil. Daraufhin bellte und knurrte der Hund Said heftig an und wollte nach ihm beißen. Said sprang zur Seite und rannte ins Haus. „Der Hund will mich gebeissen, der Hund will mich gebeissen“, rief er aufgeregt.
Der Hund verzog sich, lief auf die Piste und heulte wie ein Wolf..
Ich machte mir nun ernsthafte Gedanken, was mit dem Hund losist und noch mehr, was wir mit ihm tun können. Noch Stunden lag ich wach auf meinem Bett und dachte nach. Plötzlich kam mir eine Gedanke auf, wobei es mir in die Glieder fuhr: Tollwut! Bei meiner Jägerprüfung hatte ich die Symptome gelernt: Aggression anderen gegenüber, tagsüber Schlafen an außergewöhnlichen Orten, Heulen, und Schleim im Mund, ja den hatte er auch, als der das Loch in den Boden biß. Oh, jeh, Tollwut, das wird wohl nicht wahr sein!!
Aber die Impfungen? Garantiert hatte Mohamed diese nicht machen lassen.
Ich rief Said aus seinem Zimmer. Ich fragte ihn, ob ihm de Begriff Tollwut etwas sagen würde. Dies war erwartungsgemäß nicht so. Woher denn auch, dieses Wort gehörte absolut nicht zu unserem Sprachgebrauch. Mit dem französischen Begriff „Rage“ konnte er jedoch etwas anfangen. Er berichtete mir, dass Rage in der weiteren Umgebung häufiger vorkäme. Vor einigen Monaten sei ein Mann in Errachidia von seinem erwachsene Sohn gebissen worden und gestorben!
Verdammt noch mal, dachte ich, das darf einfach nicht wahr sein! Ich dachte an die Kinder, die immer mit den Hunden spielten, vor zwei Tagen badeten sie sogar mit ihm, Said hatte ihm den Staub von den Zähnen geputzt, er hatte im haus Zugang in die Küche und steckte seine Nase auch schon mal vor die Teller. Oh, je, was würde nun alles passieren!!? Wie viele Menschen sind in den letzten tagen angesteckt worden? Sind Said und ich jetzt auch schon mit dem Virus befallen? Schlimmste Dinge gingen mir durch den Kopf! Am nächsten Tag, so erklärte ich Said, müssten wir als aller erstes den Hund töten, damit nicht noch mehr geschah. So bitter wie es war, unser geliebter Hund musste getötet werden! Er war ein ungeheuerliches Risiko für das Leben der Menschen!
Die ganze Nacht über konnten wir kaum schlafen, bildeten uns ein, Tollwut zu haben. Es schien innerlich zu jucken, Kopfschmerzen kamen auf usw..
Um 5.30 Uhr am nächsten Tag stand ich auf und Said war ausnahmsweise auch schon so früh aufstehwillig.
Ich ging mit ihm in den Geräteschuppen und holte eine Axt und einen Spaten. Noch vor dem Frühstück, worauf wir beiden ohnehin keinen Appetit verspürten, sollte der Hund beseitigt werden. Was war das für ein mittelalterliches Gefühl, mit mehr oder weniger stumpfen Werkzeugen einen Hund zu erschlagen. In Deutschland würde das Humanerweise mit einer Spritze gemacht.
Ich rief dann die Hund welche sodann auch alle drei ankamen. Dem Said erklärte ich, dass wir den tollwütigenden Hund auf den Kopf treffen müssten….O.k., die Hunde saßen vor uns und schauten uns an, als wenn die nach Futter fragen würden. Ich schaute dem Rüden ins Gesicht. „Ein schöner Hund bist du“, dachte ich „ein sehr schöner Hund“. Aber es geht nicht anders“. Als ich ihn in die treuen Augen sah, vielen mir die schönen Erlebnisse aus den vergangenen Tagen ein. Ich musste jetzt aber Härte zeigen und zuschlagen. Ich holte weit aus und schlug zu…. Genau in dem Moment zog er seinen Kopf zur Seite, so dass die Axt ihn nur am Ohr streifte. Verdammt! Bei dem zweiten Versuch musste es klappen. Er Hund schien etwas zu ahnen. Wir hatten Mühe ihn wieder zu uns zu locken. Auch unser Tun beobachtete er genau. Mit Brotresten konnten wir ihn zunächst ruhig stellen. Nun sollte Said zuerst schlagen. „Nein, nein. Ich kann nicht. Du musst zuerst“, erwiderte er. Nun gut. Der Hund schien aber etwas zu ahnen. Er schaute ständig zur Seite und hielt den Kopf nicht mehr ruhig genug. Außerdem empfand ich es zwischenzeitlich absolut unethisch, ihn so totzuschlagen. Aber welche humanere Möglichkeit gab es? Mit einem Gewehr bei genügend Entfernung wäre das kein Problem, aber so von Angesicht zu Angesicht mit Axt und Spaten auf den Kopf?- Äußerst brutal. Ich ging mit Said ins Haus um zu beraten. Die Hunde bissen sich draußen wider bis auf die Knochen. Nein, er musste beseitigt werden und zwar jetzt! Ich vor mich hin, meine Blicke blieben auf der Piste stehen. Ja, das war es: Überfahren! Also beauftragte ich Said Brot auf die Piste zu legen und ich wollte dann mit Anlauf gegen den Hund fahren. Said nahm das Brot, ich ging zum Auto. Als ich die Türe öffnete sprang der Hund auf meinen Schoß und wollte mitfahren. Ich bugsierte ihn nach draußen. „Er ist nicht mehr mein Freund, er darf nicht mehr mein Freund sein!“ Dann fuhr ich mit dem Wagen in Stellung. Said legte das Brot aus und rief ihn. Er kam an, mein Motor lief, Gang rein, Losfahren, Vollgas…20, 40, 60, 80, Vollbremsung! Schneider war auf die Piste gelaufen um sich auch etwas Brot zu hohlen!
Verdammt. Schneider und der kleine Welpen wurden ins Haus gesperrt, zweiter Versuch. 20,40,60,80 Draufhalten! Der Hund wich jedoch aus. Also wieder ein Versuch. Er ahnte aber, was wir vorhatten und ließ sich nicht mehr auf die Piste locken. Stattdessen suchte er mit dem Brot in der Schnauze das Weite.
Said und ich wollten unbedingt einen Arzt aufsuchen um zu prüfen, ob wir Tollwut hatten. Jedoch bestand beim Verlassen der Plantage das Risiko, dass der Hund weitere Menschen infiziert. So musste er zuerst beseitigt werden.
Im Haus überlegten wir, was wir tun könnten. Said schlug vor, ihn von Nomaden umbringen zu lassen. Nomaden waren harte Leute ohne Skrupel. In der Nachbarplantage arbeiteten zwei Nomaden. Said kannte einen namens Ali. Er war sich sicher, dass die das tun würden. Gerne war ich auch bereit, bei möglichen Zweifel mit Geld nachzuhelfen. Nun gut aber zunächst musste der Hund wieder her. Es war zwischenzeitlich Mittagszeit und wir aßen ein wenig Trockenbrot. Auf mehr hatten wir keinen Appetit. Als wir nach draußen gingen lag der Hund zu unserer Überraschung schlafend vor dem Pumpenhäuschen. Das war die Gelegenheit. Wir liefen schnell zum Auto und fuhren die 500 Meter zur Nachbarplantage. Dort trafen wir Ali und den anderen Nomaden an. Said erklärte ihnen alles. Ich hatte jedoch zuvor Wert darauf gelegt, dass er nicht den Begriff Tollwut verwenden sollte. Ich wollte vermeiden, dass bei irgendeiner Ausbreitung der Tollwut in der Region ich als Schuldiger angesehen würde. Er Hund ist krank, einfach krank, jetzt muß er weg, pasta!
Die Nomaden wunderten sich und fragten nach, ob es denn wirklich um einen unserer Hunde ging. Diese seinen doch in der ganzen Region als überaus lieb und anhänglich bekann. Ja, einer unserer Hunde muß weg, erklärten wir. So nahmen wir die beiden Männer mit ins Auto und fuhren zur Plantage. Der Hund schlief noch vor dem Brunnenhäuschen. Einer der Männer kletterte leise von der Rückseite auf´s Dach, der andere gab ihm dicke Gesteinsbrocken an. Nachdem etwa 10-15 dicke Steine oben waren kletterte auch er hoch. Sie nahmen Brocken in die Hund und wollten loswerfen, als der Hund seinen Kopf erhob. Sie warfen trotzdem, trafen ihn und warfen mehr und mehr Steine auf seinen Kopf. Benommen fiel der Kopf nieder und bekam noch einige Brocken als Volltreffer. Mir fuhr ein fürchterliches Gefühl durch die Glieder aber danach auch gleich Erleichterung. Es war geschafft!
Als wir vor dem toten Hund standen kam eine bisher noch nicht überlegte Frage auf: Wohin mit dem toten Hund?
Vergraben? In den steinharten, trockenen Boden? Die anderen Hunde würden ihn ausgraben. Er musste weit weg. Die Nomaden sagten uns, dass in etwa zwei Kilometer Entfernung eine steile Klippe neben der Piste sei. Dort könnten wir ihn hinunter werfen.
Ich dankte für den Hinweis und wollte die Männer zurück bringen. Geld wollten sie übrigens keines haben für den Dienst. Zudem bevorzugten sie es, den Heimweg zu Fuß zurück zu legen. Ich mussten nun schnellstmöglich den Hund beiseite schaffen. Aber wie? Ins Auto wollte ich nicht einen tollwütigenden toten Hund legen. Said band ihm einen Strick um den Hals, diesen befestigten wir dann an der Abschleppvorrichtung des Autos. Ich fuhr nun los. Said blieb an der Plantage um die Blutflecken zu beseitigen.
Nach wenigen Minuten kam ich am Ziel an. Die Stelle schien geeignet um ihn herunter zu werfen. Der Knoten am Auto ließ sich jedoch nicht mehr öffnen, ein Messer hatte ich auch nicht dabei, um den Strick durch zu schneiden. Also musste ich versuchen den Knoten am Hals des Hundes aufzubekommen. Als ich das versuchte bemerkte ich, dass unendlich viele Parasiten, blutsaugende Fliegen, ect. Den kalten Hundekörper verließen und offensichtlich von meiner Körperwärme angezogen wurden. Sie flogen in meine Haare, unters T-Shirt an die Beine und überall hin. Mit einer Hand schlug ich um mich, mit der anderen versuchte ich den Knoten zu öffnen. Es war ein furchtbares Gefühl, von diesen Insekten heimgesucht zu werden. „Hoffentlich überstehst Du die ganze Sache ohne Tollwut zu bekommen,“ dachte ich.
Endlich öffnete sich der Knoten, so dass ich den Hund hinab werfen konnte. Dann düste ich zurück zur Plantage. Unterwegs hatte ich ständig das Gefühl, diese blutsaugenden Insekten unter dem T-Shirt zu verspüren.


Fortsetzung folgt.


Beste Grüße
Thomas

In Marokko ist alles möglich nur nichts schnell.